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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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von so sonderbarem Aussehen erblickt.
    Ihre Gesichter waren entweder breitgequetscht, aufgedunsen oder lang und scharf wie eine Säge. Stupsnasen, übermäßig buschige Augenbrauen, Kinnpartien in Form von Boxhandschuhen und aberwitzig gekrümmte Beine gehörten zu ihren auffälligsten Merkmalen. In den Augen jedes einzelnen von ihnen lag eine Leere, die etwas fürchterlich Bedrohendes an sich hatte, wenngleich man nicht zu sagen wusste, warum. Sie waren gekleidet wie Akteure eines Vorstadttheaters und trugen steife, runde Filzhüte mit schmalen Krempen auf dem Kopf, als sei es die natürlichste Sache der Welt. Ihre Anzüge mit Weste, die so aussahen, als stammten sie aus der Epoche König Eduards VII., wirkten ebenso schmierenhaft und schäbig wie ihre Uhrketten und Spazierstöcke. Mit blitzenden Zähnen lächelten sie unverfroren wie Menschen, die sich gar nicht erst Mühe geben, ihre üble und gewalttätige Natur zu verbergen. Aber was hatten sie hier zu suchen? Und woher waren sie gekommen?
    »Plötzlich wimmelte es hier von ihnen«, kam die Antwort auf diese Fragen, die Hardesty laut gestellt hatte. »Sie rumorten in den Scheunen herum, und wir haben sie dabei ertappt, wie sie uns die Schlitten und Pferde stehlen wollten. Ungefähr zwanzig von ihnen haben wir eingefangen, aber dann, als wir dachten, wir hätten sie alle, liefen uns in der Nähe der Mühle noch einmal fünfzig von ihnen über den Weg. Wer weiß, vielleicht sind da draußen noch mehr.«
    »Na und? Immerhin haben wir ja ihn «, sagte jemand.
    »Wen?«, fragte Hardesty.
    Ein Dutzend Männer zeigte durch eine offene Tür, die in einen Nebenraum führte. Dort stand der Arzt, von ein paar anderen Männern umgeben. Er hatte seinen Kittel über die Schulter gelegt und zielte mit seiner Flinte auf etwas, das er nicht aus den Augen ließ. Auf dem Weg dorthin stolperte Hardesty mit der Stiefelspitze über einen Haufen metallisch klirrender Gegenstände.
    »Das haben wir diesen Wichten abgenommen«, wurde ihm erklärt. Er beugte sich vor, um das Zeug in Augenschein zu nehmen, und er erblickte versilberte und vergoldete Pistolen, manche von ihnen mit Perlmuttgriffen, einige Derringers von Puppenstubenformat, Messingschlagringe mit Stilettklingen, dornenbesetzte Biberschwänze, Totschläger, eine Miniaturschrotflinte und Würgeeisen mit Handgriffen aus Elfenbein. Allerdings war kein einziges Gewehr dabei, keine Skier, Schneeschuhe und keine Winterkleidung. Wer immer diese Burschen sein mochten – für den Coheeries-See waren sie schlecht ausgerüstet.
    Hardesty legte dem Arzt die Hand auf die Schulter und schob ihn sacht beiseite, um besser sehen zu können. Im nächsten Augenblick fuhr er zurück. Der Atem stockte ihm, und fast wäre er gestrauchelt.
    »Wer in Gottes Namen ist denn das?«, entfuhr es ihm, bevor er sich wieder völlig in der Gewalt hatte.
    »Ich könnte es Ihnen sagen, aber ich tue es lieber nicht«, erwiderte der Doktor.
    Hardesty schob sich zwischen den mit Flinten bewaffneten Männern hindurch und schaute sich den Gefangenen gründlicher an. Er war größer als die Gnome mit den Filzhüten, aber nicht viel. Außerdem war er ziemlich dünn. Er hatte ein furchteinflößendes Gesicht, und seine Gliedmaßen zuckten fast genauso heftig wie seine Zunge in dem geöffneten Mund, die sich offensichtlich seiner Kontrolle entzog. Auch seine Augen bewegten sich hin und her, wie es ihnen beliebte, als wären sie wütende Ratten, die aus ihrem Käfig auszubrechen versuchten. Ebenso wie die knochigen Finger kamen sie nicht einen Augenblick lang zur Ruhe. Hin und wieder schienen sie elektrisch geladene Blitze zu verschießen. Unverkennbar wurde dieses Wesen von einer tödlichen Zerstörungswut geschüttelt, die nun wirklich ganz und gar nicht zu dem Frieden am Coheeries-See passen wollte.
    »Wer ist das?«, fragte Hardesty.
    »Fragen Sie ihn selbst«, wurde ihm geantwortet.
    »Ich?«
    Der Arzt blickte Hardesty zweifelnd an. »Ja, Sie!«
    »Wer sind Sie?«, sagte Hardesty mit bittender, kaum hörbarer Stimme. Dann nahm er sich zusammen, machte ein paar Schritte auf den Gefangenen zu und wiederholte die Frage mit bewundernswerter Festigkeit und Autorität.
    Pearly Soames sträubte sich. Wieder schien die Luft von den heißen, elektrischen Wellen zu knistern, die von ihm ausgingen, als baumelten hundert Klapperschlangen von einem Kandelaber herab. Hardesty durchzuckte der Verdacht, das dieser seltsame Mann und seine Spießgesellen sich durchaus nicht als

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