Wintermaerchen
es getan, dann hätte ihn auf der nächsten Seite eine große Fotografie seiner selbst angestarrt), doch da ging ein Zittern durch sein bequemes Lager, weil Hardesty Marratta sich gegen die Metalltür geworfen hatte. Die Police Gazette flog Peter aus der Hand wie ein flatterndes Huhn und landete mit seinem Porträt nach unten im Staub.
Das Fahndungsfoto war damals entstanden, nachdem man ihn, ohne ihm etwas nachweisen zu können, kurz vor einem geplanten Coup festgenommen hatte. Dabei hatte er sich zu diesem Anlass extra ganz groß in Schale geworfen. Da sie wussten, dass sie ihn bald wieder laufen lassen mussten, hatten die Polizisten ihn ziemlich hart in die Mangel genommen. Peter hatte seinen zerrissenen steifen Kragen und die Überreste seiner Fliege zurechtgerückt, aber kurz bevor sie den Magnesiumblitz zündeten, hörte er aus dem Nebenraum die Schreie eines Menschen in Todesqualen. Peter hatte dergleichen zwar schon oft erlebt, aber er war noch nicht abgestumpft. So hatte denn sein Gesicht auf dem Foto einen Ausdruck, der voller Mitleid war. Es war der Ausdruck eines Mannes, der sich mühte, durch eine Wand zu blicken, hinter der ein Kamerad ermordet wurde. Er war aufgeweckt und wachsam, aber zugleich sarkastisch und kühl, als wollte er sagen: »In Ordnung. Wenn ich als Nächster dran bin, dann soll es mir recht sein. Aber fühlt euch nicht zu sicher!«
Genau der gleiche Ausdruck prägte nun Peter Lakes Gesicht, als Hardesty Marratta unbeirrbar und wie von Sinnen gegen die Tür anrannte. Er versuchte es wieder und wieder, wie ein übergeschnappter Ziegenbock, der einen Liter starken Tee aufgeschleckt hat. Peter Lake hatte vergessen, dass es noch eine andere Tür gab, die auf das Dach hinausging. Daher glaubte er jetzt, ihm sei jeder Fluchtweg abgeschnitten. Eine Weile verharrte er völlig reglos, dann jedoch betätigte er den Lichtschalter des Bahnhofshimmels. Die Sterne verloschen nicht, denn sie brannten inzwischen für die Ewigkeit. Ohne den Vorteil der Dunkelheit blieb Peter nur noch der Überraschungseffekt. Wenn ich die Tür in dem Augenblick öffne, überlegte er, wo der Kerl auf der anderen Seite wieder gegen sie anrennt, dann könnte es sein, dass er hier gegen den Eisenpfeiler prallt und sich selbst außer Gefecht setzt. Aber nein, das funktioniert nicht. Der Kerl scheint einen harten Schädel zu haben. Soll er sich ruhig noch eine Weile austoben. Danach lasse ich es einfach drauf ankommen.
Peter kletterte in das Gewirr der Eisenträger hinauf und lag nun halb im Schatten verborgen. Hardesty und die Tür litten mittlerweile furchtbar unter ihrem Zermürbungskrieg. Die Tür hätte wohl gewonnen, wäre ihr Gegner nicht der festen Überzeugung gewesen, dass er den Dingen endlich auf den Grund kommen würde, sobald er erst die andere Seite erreicht hatte. Die Zeiträume zwischen seinen Versuchen, durchzubrechen, wurden immer größer, und auch der Aufprall seines Körpers verlor an Wucht. Gleichzeitig aber lockerte sich die Tür zusehends, wie ein wackeliger Zahn kurz vor dem Herausfallen.
Endlich flog sie auf. Hardesty stolperte ein paar Schritte nach vorn, drehte sich um sich selbst, schwankte hin und her – und brach zusammen. Peter Lake wartete ab, ob nicht noch andere Männer hereingestürzt kämen, aber als niemand folgte, sprang er herab, schlug die Tür zu und schleppte Hardesty auf das Bett. Der Mann war übel zugerichtet und rang mühsam nach Luft. Um ihm zu helfen, nahm Peter eine Konservenbüchse, die vor neunzig Jahren einmal neuseeländischen Lammeintopf enthalten hatte, füllte sie mit warmem Wasser und besprengte damit Hardestys Gesicht.
Hardesty machte die Bewegungen und Geräusche eines Ertrinkenden, dann aber öffnete er die Augen.
»Warum sind Sie hier eingebrochen?«, fragte Peter Lake.
»Ich sah, wie Sie von oben durch die Falltür schauten. Ich wollte herausfinden, wer Sie sind und wie Sie hierhergekommen sind.«
»Und warum haben Sie hochgeschaut? Das tut sonst niemand.«
»Ich weiß nicht. Als ich sah, dass die Sterne eingeschaltet waren, konnte ich meine Augen nicht mehr von ihnen abwenden.«
»Sie wollten also nicht zu einem Zug?«
»Nein.«
»Wie sind Sie hier heraufgekommen?«, fragte Peter argwöhnisch. »Stecken Sie etwa mit der Polizei unter einer Decke?«
»Nein, ich bin die Wand hinaufgeklettert, an den Girlanden, Ovalen und diesen gemeinen kleinen Zacken.«
Peter blickte ihn skeptisch an. »Kaum zu glauben. Sind Sie vielleicht Bergsteiger?«
»Ja, das
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