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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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durchbrach das Dach.
    Sie legten die Gemälde hinten in den Schlitten. Praeger hielt die scheuenden Pferde fest, während Harry Penn die Scheune anzündete. Die ganze grüne Bucht war taghell erleuchtet. Ein letztes Mal fuhren sie um das Haus herum, dann flogen die Pferde mit der Angst im Nacken dahin, der kleinen Stadt am anderen Seeufer entgegen. Der Wind verwandelte die Flammen der Fackeln in Kometenschweife, wie langes Haar, das aus der Stirn geweht wird. Funken verglühten in der Finsternis. Immer wieder wieherten die Pferde leise; die unmittelbare Nähe des Feuers erschreckte sie. Aber sie konnten ihm nicht entfliehen, denn sie zogen es auf dem Schlitten hinter sich her.
    Gemeinsam setzten Harry Penn und Praeger nun auch das Dorf in Brand. Die Häuser fingen rasch Feuer, sodass aus den sich kreuzenden Straßen schon nach kurzer Zeit ein großer Flammenrost geworden war.
    »Sie sind alle tot«, sagte Harry Penn, als sie das Dorf hinter sich ließen. »Ich frage mich, ob die Siegel der Vergangenheit tatsächlich aufgebrochen werden können, wie Beverly es wollte, oder ob sich ihre Erwartungen nicht erfüllen werden.«
    Auf der Kuppe eines Hügels wendeten sie den Schlitten, sodass sie Dorf und See überblicken konnten. Auf der anderen Seite der Wasserfläche brannte das Haus der Penns noch immer gleichmäßig, und auch die Häuser im Dorf standen in Flammen, als hätte man sie zuvor mit Paraffin übergossen.
    Es gab nichts mehr zu sagen. Ein sehr heller Mond war aufgegangen. Harry Penn löschte die Fackeln im Schnee. Praeger wendete die Pferde und lenkte sie fort vom Coheeries-See, den Bergen entgegen.
    *
    Hardesty eilte die unteren Treppen zu den verglasten Umgängen hinauf, die, wie er annahm, ihrerseits zur Rückseite des Himmels führten. Als er am vierten Treppenabsatz ankam und um die Ecke bog, musste er plötzlich anhalten, weil sechs blauuniformierte Polizisten und ein Sergeant wie ein Pfropf den Weg versperrten. Sie tranken Kaffee aus Pappbechern und waren bis an die Zähne mit Pistolen und Schlagstöcken bewaffnet. »Wohin wollen Sie?«, fragte der Sergeant barsch.
    »Auf den Zug um sechs Uhr zwanzig nach Cos Cob!«, rief Hardesty, um sie irrezuführen. Sie waren hier postiert, damit niemand die Galerie betrat.
    »Da lang!«, sagten sie und wiesen ihm die Richtung. Hardesty rannte die Treppen wieder hinunter. Als er auf dem Balkon angelangt war, der auf die Vanderbilt Avenue hinausging, warf er einen Blick nach oben zu der Öffnung im Himmel. Da war es wieder, dieses Gesicht. Noch immer starrte es ruhig in die Tiefe. Um herauszufinden, wer das war, wollte Hardesty notfalls sogar die Polizisten angreifen. Gelang es ihm, sie zu überraschen, dann mochte er vielleicht gleich vier von ihnen töten oder verwunden können, und eventuell sogar alle sechs. Aber um dies zu schaffen, hätte er mindestens zwei Pistolen benötigt, und das bedeutete, dass er auf jeden Fall noch zwei weitere Polizisten ausschalten müsste. Es schien nicht eben vernünftig, dass acht Männer ihr Leben lassen mussten, nur damit er, Hardesty, einige Treppen hinaufsteigen konnte. Und wenn er versuchte, sie zu bestechen? Aber woher sollte er denn das Geld dafür nehmen? Selbst wenn er auf der Stelle fünfzig Menschen ausraubte, waren die Chancen ziemlich gering, die gewaltige Summe aufzubringen, die er für eine Bestechung benötigen würde. Aber er musste einfach dort hinauf!
    Die Falltür schloss sich, sie versiegelte den Himmel.
    »Verdammt!«, fluchte Hardesty leise. Er beschloss, die Polizisten zu umgehen. So stieg er über das Balkongeländer und begann, an der Marmorwand emporzuklettern, die hier, dicht vor den Laufstegen, im rechten Winkel auf die Glaswand traf. Vor langer Zeit hatten geduldige Kunsthandwerker Girlanden, Ovale und Zacken in diese Ecke eingemeißelt. Die Nischen und Vorsprünge, die sie bildeten, waren gerade groß genug, dass Hardestys Hände Halt finden konnten. Um sich abzustützen, musste er sich mit dem Rücken gegen das Glas drücken.
    Sein Mut reichte, um hinaufzuklettern, aber nicht, um hinunterzuschauen. Rasch und ohne Sicherung bewegte er sich vorwärts. Hätte er innegehalten, wäre er unweigerlich abgestürzt, nach ein oder zwei fürchterlichen Sekunden, in denen er verzweifelt versucht hätte, seine Finger in den glatten Marmor zu krallen. Es gab hier kein goldgelbes Hanfseil, dafür aber physikalische Widersprüchlichkeiten und Paradoxe, über die nachzudenken er selbst zwar keine Zeit hatte, die

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