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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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bin ich tatsächlich«, antwortete Hardesty, »das heißt, eigentlich bin ich …«
    Er hielt mitten im Satz inne, wandte Peter sein pochendes Gesicht zu und starrt ihn an. Peter tat es ihm gleich, nur dass sein Gesicht nicht pochte. Jetzt wussten sie es beide! Sie waren sich bei Petipas begegnet. Ihre Kehlen zogen sich zusammen, und sie erschauerten wie Menschen bei der Entdeckung, dass höhere, zielstrebigere Mächte am Werk waren, die sich unbeirrbar, wenngleich mit nur geringer Überzeugungskraft, als Zufall ausgaben.
    »Wer sind Sie?«, fragt Peter Lake.
    Hardesty schüttelte den Kopf. »Das ist unwichtig«, sagte er. »Aber wer sind Sie ?«
    *
    Jackson Mead entfesselte all die Kräfte, die er seit langem gesammelt und gebündelt hatte, in einem irrwitzigen, markerschütternden Schauspiel, das die letzten zehn Tage vor der Jahrtausendwende in Anspruch nehmen sollte. Es durfte auf keinen Fall unterbrochen werden, auch dann nicht, wenn die Stadt von Feuersbrünsten verzehrt und angesichts der Regenbogenbrücke ein heilloses Chaos unter den Menschen ausbrechen würde. In all den Jahrhunderten, die er mit dem Bau von Brücken zugebracht hatte, hatte Jackson Mead sein Handwerk gründlich gelernt. Er glaubte an die Existenz eines Gesetzes, das zwischen den Dingen für Ausgleich sorgte, sodass sich stets alles in perfektem Gleichgewicht einpendelte: Für alles, das errichtet wurde, musste etwas anderes einstürzen, und es gab keine freie Form, denn jede Form hatte ihre Schattenseite und ihr Gegenstück, so wie er, Jackson Mead, seine Widersacher hatte. Er achtete auf sie, und es lag ihm nicht daran, sie auf seine Seite zu ziehen, hätte dies doch bedeutet, den tieferen Sinn ihres Kampfes nicht anzuerkennen. Er hätte sogar genauso gut auf ihrer Seite stehen können, doch da es seine Aufgabe war, die Dinge voranzutreiben, musste er seine Widersacher bekämpfen. Gern pflegte er zu sagen, es habe noch nie einen Baumeister gegeben, der nicht auch etwas vom Krieg verstanden hätte.
    Fast ein ganzes Jahrhundert hatte er gebraucht, um die Ereignisse vorzubereiten, die wie ein Sturm über die letzten zehn Tage hereinbrechen würden. Dabei hatten ihm Cecil Mature und Reverend Mootfowl gewissermaßen als Generäle zur Seite gestanden, obwohl sie nicht eben wie Generäle aussahen. Aber trotz ihrer persönlichen Eigenarten waren die beiden für die Aufgaben, die sie zu erfüllen hatten, bestens geeignet. Seit zahllosen Jahren waren sie für ihn tätig, alterslos und nicht alternd, wie besessen von außergewöhnlichem Wissen, das sie ohne Arglist verbargen – nicht so sehr, um andere irrezuführen, sondern weil es ihrem Wesen entsprach.
    Zur Wintersonnenwende erreichte eine Armada von riesigen Schiffen Sandy Hook. Es waren ihrer so viele, dass sie wie Wellenbrecher die Wogen des Meeres glätteten. Auf den Decks nahm der Transport einer noch nie da gewesenen Menge von Materialien und Maschinen seinen Anfang. Hunderte von Lastenhubschraubern, an deren Rumpf über eine Länge von hundert Fuß ganze Reihen von Blinklichtern und durchdringend blauen Positionslampen leuchteten, donnerten durch die Luft. In ihrem Innern beförderten diese seltsam geformten, heuschreckenartigen Maschinen Dinge, die ein Mehrfaches ihres Eigengewichts und ihrer Größe hatten.
    Das Brummen dieser Hubschrauber war meilenweit zu hören. Wenn sie näher kamen, bebte die Erde, und die paralysierenden Frequenzen, die von ihren geheimnisvollen Antriebsmaschinen ausgingen, ließen alles Lebendige erstarren. Ihre blinkenden Lichter und die Wellenlänge des bläulichen Scheinwerferlichts waren mit den rhythmischen Geräuschen auf vollendete Weise zu äußerst komplizierten Harmonien und Kontrapunkten synchronisiert. Die Helikopter konnten sich um jede Achse drehen und jede Position einnehmen. Sie waren grazil wie Schmetterlinge und so groß wie die größten Düsenflugzeuge. In rastlosem Hin und Her überquerten sie den Hafen, ohne dass es je zu einer Kollision gekommen wäre.
    Hohe Tore öffneten sich in den Seitenwänden von Jackson Meads Schiff, das im Hudson vor Anker lag, und man konnte jetzt vom Ufer oder vom Eis aus in den riesigen Bauch des Schiffes blicken. Er war in mehrere Ebenen unterteilt, die jeweils in ein anderes Licht getaucht waren. Im Innern gab es zehn oder fünfzehn übereinanderliegende Straßen, auf denen schnelle kleine Fahrzeuge entlangflitzten. Manche zogen eine Reihe von Loren hinter sich her, andere rasten allein im hektisch blinkenden

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