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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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aufgegangen. Sie saß auf einem schwarzen Dachfirst in Brooklyn und verströmte ihr Gold in den Straßen. Als sie höher stieg, ließ sie geschmolzenes Metall die Hügel hinunter und in den Hafen fließen, sodass aus tausend dunklen Gassen tausend goldene Rinnen wurden.
    In den Ruinen der Maritime Cathedral sah Peter Lake zu, wie das Licht hinter den Säulen und Strebepfeilern hervordrang, die Schatten vertrieb und sich in jeder Glasscheibe der letzten mehr oder weniger unversehrten Fenster spiegelte. Er stellte sich vor, dass die Kathedrale, vom Feuer umzingelt, schwärzer als Tinte gewesen sein musste und dass rotes Licht über die Wölbungen der hohen Decke getanzt war. Vielleicht hatten ein helles Feuer, eine explodierende Gasleitung oder das plötzliche Aufflammen eines Holzhauses Strahlen ausgesandt, die durch das weiße Auge des Wals schimmerten oder den Eindruck erweckten, dass sich die Segel der zarten Glasschiffchen blähten. Jetzt lagen verkohlte Balken über den Boden verstreut, und als das Sonnenlicht hereinschien, malte Peter sich aus, dass schon bald die ersten grünen Halme zwischen den Steinen hervorbrechen würden.
    Da er nicht genau wusste, was er hier zu erwarten hatte, erschreckte ihn ein Geräusch, das sich anhörte, als schlüge eine behandschuhte Hand auf Metall. Er hielt die Hand über die Augen und sah zur Tür, wo jemand vor hellem Hintergrund herumstolperte und sich den Kopf hielt.
    »Das musst du sein, Pearly!«, rief Peter, obwohl er wegen der Sonne, die ihm in die Augen schien, nicht genau sehen konnte. »Nur Pearly Soames schafft es, sich den Kopf an einer Tür anzuschlagen, die vierzig Fuß breit ist.«
    Er begab sich zur Mitte der Kathedrale und merkte, wie sein Puls sich beschleunigte. Er hatte nicht mit so viel Angriffslust bei sich gerechnet, doch nun war sie auf einmal da. Pearly hatte sich mittlerweile den Kopf auch noch ziemlich heftig an einem Rohr gestoßen, das quer über dem Eingang hing, und hüpfte vor Schmerz von einem Bein aufs andere.
    »Vielleicht ist das gar nicht Pearly Soames!«, spottete Peter Lake. »Der hüpft so komisch herum wie ein Karnickel, das in einen Nagel getreten ist.«
    Pearly hielt still. Seine Wut war größer als der Schmerz.
    »Ist schon ein blöder, nichtsnutziger Bastard, dieser Pearly Soames! Zweimal am Tag fällt er die Treppe hinunter und erschießt aus Versehen ein paar von seinen eigenen Leuten. Beim Quatschen verheddert er sich, denn seine Zunge ist eine Schlange, die ihm partout nicht gehorchen will. Und dann immer wieder diese fürchterlichen, ekelerregenden Anfälle! Jedes Mal, wenn er wieder zu sich kommt, sind seine Hände voller Blut, weil er sich mit den langen, dreckigen Fingernägeln den Hintern aufgerissen und das Gesicht zerkratzt hat. Der Bastard – jawohl: Bastard! – hat noch nicht einmal gelernt, wie ein richtiges Karnickel zu hüpfen! Also, wer ist es denn nun? Ist da Pearly oder ein Karnickel?«
    »Es ist Pearly, und du weißt es genau!«, erwiderte eine tiefe, kratzige Stimme voll mühsam beherrschter Wut.
    Pearly Soames ging langsam das Mittelschiff entlang, vorbei an einer Bankreihe, die von heruntergefallenem Mauerwerk zertrümmert worden war.
    Er sah furchteinflößend aus. Peter Lake hatte ganz vergessen, wie groß Pearly Soames war. Da waren sie wieder, diese Augen, im Vergleich zu denen Rasputins Blick wie der eines sanften Lämmleins wirkte. Sogar Peter Lake, dem schon fast jede Art von Kraft innegewohnt hatte, war von der Beweglichkeit dieser Augen beeindruckt. Sie waren flache, sich selbst verzehrende Wirbel, die Schrecken einflößten, und zwar nicht so sehr wegen der Drohung, die in ihnen lag, sondern wegen ihrer Leere. Sofort registrierten diese Augen die Wunde in Peter Lakes Seite.
    »Ich sehe, dass der kleine Gwathmi dich erwischt hat«, sagte Pearly, wobei ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, Peter Lakes Unverwundbarkeit könnte sich im Sturm der Zeiten abgenützt haben. »Sein Bruder Sylvane hat mir davon erzählt. Er wollte eine Belohnung, aber ich habe es ihm nicht geglaubt und ihn getötet.«
    »Sag mal«, unterbrach Peter Lake ihn spöttisch. »Welches von deinen Dingern mit Elfenbeingriff hast du denn benutzt, um ihn zu killen? Mit einem Zuhälter-Schlagring? Oder mit einem Biberschwanz?«
    »Mit bloßen Händen! Sylvane war sehr klein, kleiner noch als Gwathmi. Mit meiner rechten Faust habe ich ihn im Genick gepackt und so lange zugedrückt, bis der Knochen knackte. Der Kerl wollte nach seiner

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