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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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Pferdefleisch. »Da ist deine Unverwundbarkeit! Das hier ist das Ergebnis deines Glaubens, dies haben dir deine Gefühle eingebracht. Und nun kommt das Ende, das du erleiden musst.«
    Peter Lake fiel auf die Knie.
    Pearly hob das Schwert mit beiden Händen und ließ die Spitze zwischen Peter Lakes Schlüsselbein und dem Halsansatz ruhen. »Weißt du, was jetzt geschieht?«, fragte er.
    Peter Lake blieb stumm.
    »Du wirst auf dem Boden verfaulen, bis die Hunde in die Stadt zurückkommen. Sie werden sich auf das stürzen, was von dir und dem Pferd übrig ist, und die Stücke zu ihren Schlupfwinkeln unter den Piers schleppen – das heißt, wenn nicht zuerst die Ratten kommen. Was Beverly Penn angeht, so hast du sie zu Beginn des Jahrhunderts das letzte Mal gesehen und wirst sie nie mehr wiedersehen. Auf dich wartet ein ganz gewöhnliches, unvermeidliches Ende, obwohl du mit allen Mitteln gekämpft hast, um dein Ziel zu erreichen. Gleich wirst du für immer stumm und vergessen sein. Niemand wird sich an dich erinnern. Es war alles umsonst.«
    Peter blickte in den Morgenhimmel hinauf und sah die großen Rauchpilze. Vollkommen in der Form, in reinem Weiß und viele Meilen hoch, standen sie unbeweglich in der kalten, blauen Luft.
    »Nur Dampf- und Aschewolken«, sagte Pearly mit Nachdruck. »Das ergibt sich manchmal so nach einem Feuer.«
    »Soweit ich verstanden habe«, sagte Peter, »sollten sie mehr sein als nur das …« Doch plötzlich verstummte er, und seine Augen suchten vergeblich nach der Quelle eines Geräuschs, das kaum vernehmlich an sein Gehör drang. Als auch Pearly den Kopf hob, um besser hören zu können, verließ die Schwertspitze Peters Schulter und schwebte über ihm in der Luft. Von Norden her rollte ein Donner heran, der immer lauter wurde, je näher er kam, und alle in seinen Bann schlug. Dann jagte es an ihnen vorbei – das Donnern von Pferdehufen! Die ganze Insel bebte.
    Peter wandte sich wieder Pearly zu. »Ich dachte, wir hätten alle Pferde nach Kingsbridge schwimmen sehen«, sagte er. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die neben ihm aufgetürmten Kadaverteile. »Es sieht aber so aus, als ob zumindest ein unglückliches Tier den Fluss nicht überquert hat.« Er streckte den rechten Arm aus und wies in die Richtung, aus der der Donner gekommen war. » Das war der weiße Hengst!«, erklärte er. »Und wie er läuft, wird er es schaffen.«
    Pearly hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Peter ergriff die Spitze des Schwertes und führte sie zu der Stelle dicht über seinem Schlüsselbein. »Und auch ich werde es schaffen, ja, auch ich, Pearly, wenngleich auf eine Weise, die du nie begreifen wirst. Siehst du, es funktioniert. Alles hält sich die Waage. Die Welt ist ein vollkommener Ort, so vollkommen, dass all dies auch dann genug wäre, wenn nichts mehr folgen würde. Jetzt verstehe ich, jetzt weiß ich, was ich zu tun habe. Und es muss schnell getan werden.«
    Er drückte das Schwert gegen sich, dass es in sein Fleisch schnitt. Dann blickte er auf, an Pearly vorbei blickte er in die Weite.
    »Nur die Liebe …« sagte er. »Stoß fest zu!«
    Das Schwert wurde so tief in ihn hineingestoßen, dass nur noch der Griff aus seiner Schulter herausragte.
    Peter Lake war tot.
    *
    Diejenigen, die gesehen und gehört hatten, mit welchem Ungestüm und Getöse dieser vermeintliche Karrengaul vorbeigaloppiert war, mussten glauben, er sei mit Blitz und Donner in den Himmel gefahren.
    Doch für den weißen Hengst selbst war es ein leichtes, glattes Abheben, bei dem Himmel und Erde zu einem seidenweichen Traum verblassten, der zum Fliegen geradezu einlud. Immer schneller wurde er, bis die Konturen der Welt sich in verschwommene, dickflüssige Farben auflösten, und schon bald begann er mit elastischen Sätzen den Boden unter sich zu lassen, sodass er bei jedem Sprung nur noch vernahm, wie der Wind an seinen Ohren und Hufen vorbeizischte. Jedes Mal, wenn er den Boden wieder berührte, erinnerte er sich daran, wie er in die Maschinerie der Welt eingespannt gewesen war und am eigenen Leib sowohl ihre Spannungen und Konflikte als auch ihre Liebe kennen gelernt hatte.
    Doch nun fühlte er sich, als zöge ihn in seiner gewichtslosen Beschleunigung eine weiche und vollkommene Stille hinauf – eine Verheißung von Weidegründen, deren Blumen aus Sternen bestanden. Dort lebten riesige Pferde in ewiger Stille und waren dennoch unablässig in Bewegung. Zunächst, als er bei seinen weiten Sätzen immer wieder noch

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