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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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der Optiker zu Isaac Penn, nachdem sich jener in einen riesigen Ledersessel hatte sinken lassen. Seine Worte wurden von lautem Klavierspiel übertönt, das aus dem angrenzenden Zimmer drang. »Was sagten Sie?«, fragte Isaac Penn.
    »Wir sind wohl nicht Ihretwegen gerufen worden, sagte ich«, wiederholte der Optiker.
    »Wen meinen Sie mit wir ?«, wollte Isaac Penn wissen und blickte sich im ganzen Raum um.
    »Sie brauchen keine Brille, Sir, nicht wahr?«
    »Nein«, bestätigte der alten Penn. Ob der Brillenmann wohl einen Gehilfen mitgebracht hat, fragte er sich im Stillen. »Ich habe noch nie eine gebraucht«, sagte er laut. »In meiner Jugend habe ich mit bloßen Augen nach Walen Ausschau gehalten. Da wäre eine Brille nicht gerade das Richtige gewesen.«
    »Dann haben Sie mich wohl wegen Ihrer Gattin kommen lassen, Mr Penn?«
    »Sie lebt nicht mehr«, antwortete der Alte.
    Der Optiker schwieg. Er brachte nicht einmal ein paar gemurmelte Worte des Beileids über die Lippen. Fast bemächtigte sich seiner so etwas wie Panik, denn aus irgendeinem Grund behandelte Isaac Penn ihn wie den Vertreter eines Bestattungsinstitutes. »Ich bin Optiker«, platzte er heraus, als habe jemand daran gezweifelt.
    »Ich weiß«, antwortete Isaac Penn. »Keine Sorge, ich habe Arbeit für Sie. Ich möchte, dass Sie meiner Tochter eine Brille machen. Sie sitzt nebenan am Klavier.« Mit dem Finger zeigte er in die Richtung, aus der die Musik kam. »Es dauert bestimmt nicht mehr lange, bis sie fertig ist – höchstens ein Stündchen. Hübsch, wie sie Mozart spielt, nicht wahr?«
    Der Optiker musste an sein Pferd denken, das dort draußen im Schnee vor der Kutsche stand. Er dachte auch an sein Abendessen, das daheim kalt wurde, und an seine verletzte Standesehre. Immerhin war er doch ein Fachmann auf seinem Gebiet! Deshalb sagte er: »Mr Penn, meinen Sie nicht auch, dass Sie Ihre Tochter von meinem Kommen unterrichten sollten? Wäre das nicht ratsam?«
    »Ich glaube nicht«, sagte Isaac Penn. »Warum sollen wir sie unterbrechen? Sobald sie fertig ist, können Sie ihr eine Brille anpassen. Sie haben doch alle Geräte mitgebracht, hoffe ich? Meine Tochter braucht die Brille noch heute Abend. Am Vormittag hat sich ihr Bruder auf ihre alte Brille gesetzt, und sie hatte nur diese eine. Übrigens sind ihre Wimpern sehr lang, ja wirklich unerhört lang! Immer stößt sie damit an die Gläser; es muss sehr störend sein. Sie können doch eine Brille machen, deren Gläser weit genug vom Gesicht entfernt sind, damit die Wimpern Platz haben, nicht wahr?«
    Der Optiker nickte.
    »Gut«, sagte der alte Penn befriedigt und lehnte sich zurück, um dem sanften Schwall der Töne zu lauschen. Seine Tochter war eine großartige Pianistin, fast ohne Fehl – jedenfalls war ihr Vater fest davon überzeugt.
    Da das Klavierspiel nicht enden wollte, legte der Optiker vorsorglich alle Instrumente bereit und stellte auch die Schrifttafeln auf, die zur Überprüfung des Sehvermögens dienten. Dann nahm er wieder Platz und lauschte der Musik. Kaum wagte er zu atmen. Warum ist ein Mann wie Isaac Penn wohl so nachsichtig mit seiner Tochter, fragte er sich verwundert. Aus Gründen, die er selbst nicht verstand, fürchtete er sich sogar ein wenig vor dem Mädchen. Er spürte, wie die Innenseite seiner Hände feucht wurde, und sah bange dem Augenblick entgegen, da die Tochter des Hauses ihr Spiel beenden und gleich einer Prinzessin von königlichem Geblüt vor ihn, den armseligen Brillenmacher, treten würde.
    Die vordere Tür flog auf. Zwei halbwüchsige Knaben stürmten die Treppe hinauf und waren schon verschwunden, bevor das leise Vibrieren der Fensterscheiben verklungen war. Isaac Penn quittierte solch Ungestüm mit einem Lächeln. Er erhob sich und trat vor einen Schreibtisch, der in einer Ecke des Raumes stand. Mehrere druckfrische Exemplare seiner Sun lagen darauf. In der nahe gelegenen Küche wurde scheppernd mit Töpfen und Pfannen hantiert. Es roch nach Brathähnchen. In allen Kaminen des Hauses brannte ein Feuer, insgesamt ein rundes Dutzend. Die Luft war erfüllt vom süßen, winterlichen Duft des harzigen Kirschholzes und von den Klängen des Klaviers. Rasch senkte sich die Nacht herab und hüllte das Haus in Finsternis. Drinnen schien der helle Schein der Lampen die Schatten in den Ecken und Winkeln der Zimmer noch zu vertiefen.
    Als das Klavier verstummte, holte der Optiker tief Luft. Er hörte, wie nebenan der Deckel des Instruments geschlossen wurde.

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