Wintermaerchen
nicht zu verkaufen!«
»Fünfundsiebzigtausend. Unser letztes Angebot.«
»Nein.«
»Achtzig.«
»Hört auf, es ist zwecklos.«
»Also gut, hunderttausend! Weiter können wir nicht gehen.«
»So ein Quatsch!«, sagte Peter Lake. »Ihr könntet mir eine Million bieten. Ich würde den Hengst trotzdem nicht hergeben.«
Als die Dead Rabbits schließlich eingesehen hatte, dass Peter sich um nichts in der Welt von dem Pferd trennen würde, marschierten die Männer missmutig im Gänsemarsch ab. Peter blieb allein zurück. Für ihn war das Maß jetzt voll. Er hatte sich lange genug herumjagen lassen. »Ich steige aus« sagte er fest entschlossen. »Egal wie, aber ich steige aus!«
Er saß danach nicht lange untätig herum und grübelte, sondern fasste den Entschluss, genügend Geld zu stehlen, um sein Leben ändern und ein anderer Mensch werden zu können. Dabei schwebte ihm nicht nur der heilige Stephan vor, sondern er hatte vor allem das Vorbild Mootfowls vor Augen. Der hatte nämlich sein Leben lang wie ein Besessener gearbeitet, um über sich selbst hinauszuwachsen. Er war zwar letztlich gescheitert, aber vielleicht hatte er irgendwann beim Anblick eines rot glühenden, in der Hitze flimmernden Eisenblocks dasselbe erblickt, was Peter tief in den Augen des weißen Hengstes gesehen hatte.
Peter Lake kletterte eine eiserne Feuerleiter hinauf, die nach draußen aufs Dach führte. Es war mit knietiefem Schnee bedeckt. Die echten Sterne glänzten im Weltraum wie ferne Fackeln und ließen die künstlichen Sterne an der Innenseite der Bahnhofskuppel zu einem kümmerlichen Abklatsch verblassen. Hier am nächtlichen Himmel ballten sich die Gestirne zu phosphoreszierenden Spiralnebeln und wirbelnden Feuerrädern. Peter stemmte sich gegen den heulenden Wind, der den Schnee vor sich hertrieb und zu hohen Wechten auftürmte. Aus dieser Höhe sahen auch die pulsierenden Lichter der Stadt wie ein Meer von Sternen aus. Von den breiten, strahlend hell erleuchteten Straßen, die dieses Gefunkel durchschnitten, stiegen hier und dort aus Schloten und Schornsteinen schlanke Pilze aus weißem Dampf in den dunklen Himmel.
»Ich mag zwar schon viel gesehen haben«, sagte Peter Lake zu sich selbst, »aber eigentlich habe ich noch nichts gesehen. Diese Stadt ist wie eine Maschine, die langsam anfängt warm zu laufen.« Ja, er hörte es genau, dieses unablässige Dröhnen und Brausen, das so gut zu der Lichterflut passte und das eine geheime Botschaft zu enthalten schien.
Beverly
I saac Penn, Verleger und Herausgeber der Sun , hatte sich sein Haus an der Upper West Side inmitten von Feldern und leeren Grundstücken bauen lassen, mit Blick auf den See im Central Park.
»Es verlangt mich nicht, an der Fifth Avenue neben all den anderen Dummköpfen zu wohnen«, hatte er damals verkündet. »Ich wurde nämlich am Hudson geboren, in einem kleinen Haus dicht bei den Werften. Da wurde rund um die Uhr Lärm gemacht, sogar bevor die Eisenbahnlinie gebaut war. Grunzende Schweine liefen überall frei herum, nicht viel anders als in New York, nur dass sie in der Stadt Anzüge und Krawatten tragen.
Ja, so lebten wir, und wir waren arm. Ich weiß noch genau, dass dort all die Leute, die es im Dasein nicht weiter gebracht hatten, wie Ölsardinen auf engstem Raum hausten. Die meisten waren nämlich Schwachköpfe und hatten noch nie einen einzigen vernünftigen Gedanken zu Ende gedacht. Damit es nicht so auffiel, scharten sie sich dicht zusammen.
Ich mag mein Haus. Es steht ganz allein in der frischen Luft, und meine Kinder mögen es auch. Sie sind gern hier draußen. Ich höre nur auf sie, nicht auf Leute wie Mrs Astor.«
Da Isaac Penn nicht nur alt, mächtig und reich war, sondern in seiner ruppigen Art nie ein Blatt vor den Mund nahm, erschrak der Optiker, als der Hausherr ihm persönlich die Tür öffnete und ihn ins Innere des Hauses geleitete. Er fühlte sich wie ein Knabe, der sich in seiner Fantasie ausmalt, ein riesenhaftes Ungeheuer lauere ihm irgendwo im Dunkeln auf, um ihn zu fressen. Im Übrigen verstand er nicht so recht, warum er mit all seinen Instrumenten zu den Penns gerufen worden war. Normalerweise hatte er nur Laufkundschaft, denn die geschätzten Kunden suchten ihn stets in seinem Laden auf. Verwundert registrierte er, dass Isaac Penn keine Brille trug. Das war ungewöhnlich für einen alten Mann, der sich in seinem Beruf mit so viel Kleingedrucktem befassen musste.
»Wir sind also nicht Ihretwegen hier, nehme ich an«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher