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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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hörbare Getrappel vieler Füße vernommen zu haben. Von diesem Geräusch ging etwas Heimtückisches aus. Peter spähte durch eine Ritze hinab und sah dreihundert Fuß unter sich auf dem glänzenden Marmorfußboden eine Doppelreihe von Männern, die sich wie ein Trupp Soldaten auf die Treppe zubewegten, welche zu dem künstlichen Firmament unter der Bahnhofskuppel hinaufführte.
    »Die Dead Rabbits « sagte Peter verblüfft und erschrocken. »Die haben mir gerade noch gefehlt!« Er öffnete eine kleine Dachluke, die nur einmal alle zehn Jahre benutzt wurde, wenn hinter dem künstlichen Sternenhimmel Wartungsarbeiten durchgeführt wurden. Dann ließ man durch solche Luken an Seilen eine Plattform herab, auf der die Arbeiter stehen konnten. Peter packte das Ende eines solchen Seiles, das über eine Trommel lief, und sprang. Geräuschlos glitt er in die Tiefe. Aber seine Befürchtung, möglicherweise zu spät an Flucht gedacht zu haben, war berechtigt gewesen. Er hatte nämlich noch nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich die Fahrt in die Tiefe plötzlich verlangsamte und gleich darauf völlig zum Stillstand kam. Peter baumelte hoch oben zwischen Himmel und Erde. Unten eilten Tausende von Menschen vorbei, aber niemand blickte zu ihm auf.
    Sollte er sich einfach fallen lassen? Unmöglich! Wie ein rohes Ei würde er auf dem Marmorboden zerschellen. Einen Augenblick lang dachte er daran, an dem Seil so lange hin- und herzuschwingen, bis er sich an irgendeinem Mauervorsprung festkrallen konnte. Aber dazu kam es nicht mehr, denn schon hatten die Banditen oben die Kurbel der Seiltrommel gefunden. Die Fahrt ging wieder aufwärts. »Verdammte Dead Rabbits!«, fluchte Peter. »Was für ein Name!«
    Mehrere Banditen blickten ihm durch die Luke entgegen. Doch als Peter fast oben angelangt war, griff er blitzschnell mit der Hand in eines jener kleinen runden Löcher, die in der Zwischendecke jeweils einen »Stern« in Form einer Glühbirne beherbergten, und hangelte wie ein Affe das Geweih des Sternbildes Stier entlang. Seine Händen fanden kaum Halt, aber Peter hoffte, dass er es bis zu einer anderen Luke schaffen würde. Mit einem Fußtritt wollte er sie von unten aufstoßen und sich hindurchschwingen. Dann wäre er gerettet.
    An der Dachluke angelangt, machte Peter einen Klimmzug, zog die Beine an und wollte gerade mit letzter Kraft gegen die Luke treten, als sich jene wie von selbst öffnete. Er starrte in die grinsenden Visagen einiger Banditen. Seine Beine sanken kraftlos herab. Er spürte, wie seine Finger nachgaben. Kurz bevor er in die Tiefe stürzte, stieß er einen Schrei aus, aber im selben Moment fühlte er, wie eine starke Hand sein Gelenk umklammerte. Einer der Banditen hatte in letzter Sekunde zugepackt und zog ihn durch die Dachluke nach oben.
    Peter war darauf gefasst, dass sie ihn an Ort und Stelle fertigmachen würden. Schwer atmend fragte er: »Warum habt ihr mich nicht einfach fallen lassen? Will mich Pearly lebendig haben? Warum hat er ausgerechnet euch geschickt?«
    Der Wortführer der Dead Rabbits erwiderte: »Wir wollen dir nichts zuleide tun, sondern uns nur mit dir unterhalten.«
    Peter schloss erleichtert, aber auch angewidert die Augen. »Dann sagt schon, was ihr von mir wollt, ihr Ganoven!«, sagte er unwillig.
    »Wir haben von diesem Pferd gehört, das angeblich fliegen kann.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, die Leute schwören, dass es durch die Luft fliegt. Die ganze Stadt spricht davon. Wir wollen dir das Pferd abkaufen – für einen guten Preis natürlich – und es im Zirkus auftreten lassen.«
    »Ihr Schwachköpfe! Kein Pferd kann fliegen!«
    »Aber alle haben es gesehen!«
    »Der Hengst kann fantastisch springen, weiter nichts.«
    »Und wie weit kann er springen?«
    »Von einem Häuserblock zum anderen, vielleicht auch über zwei.«
    » Zwei Häuserblöcke?«
    »Ja, durchaus möglich.«
    »Gut, wir kaufen ihn und lassen ihn im Zirkus Belmont auftreten.«
    »Nein, so geht das nicht«, erwiderte Peter. »Für Geld würde er nicht springen, versteht ihr das nicht? Er springt, weil es ihm Spaß macht – falls ihr wisst, was das überhaupt ist, Spaß … Ohne mich tut er es sowieso nicht. Und außerdem ist er nicht zu verkaufen.«
    »Wir geben dir zehntausend Dollar.«
    »Nein.«
    »Zwanzigtausend.«
    »Nein.«
    Die Banditen blickten fragend ihren Anführer an, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. »Fünfzigtausend«, sagte er.
    »Habt ihr keine Ohren? Ich sagte, er ist

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