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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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einem brennenden Fieber verzehrt wurde, die Wärme ihrer bloßen Arme und Schultern zu fühlen, vom Hauch ihres Atems umweht zu werden und den süßlichen Duft wahrzunehmen, den die Fieberglut unzweifelhaft ihrem spitzenbesetzten Ausschnitt und ihrer Wäsche entströmen ließ.
    »Schon gut«, hörte er sie sagen und sah, dass sie sekundenlang die Augen schloss. »Sie können jetzt gleich anfangen. Falls es Ihnen ungehörig vorkommt, weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll. Tun Sie doch einfach, wozu man Sie gerufen hat!«
    Da die Instrumente schon aufgestellt waren, konnte die Arbeit unverzüglich beginnen. Jedes Mal, wenn der Optiker dem Mädchen nahe kam, hielt er die Luft an. Er war schweigsam und angespannt wie ein Tier auf der Flucht. Beverly hingegen atmete im Fieber rasch durch den Mund. Warm und süßlich entströmte die Luft ihren leicht geöffneten Lippen.
    Umständlich und zugleich behutsam hantierte der Optiker mit seinen Instrumenten und Geräten. Während er immer wieder die Einstellung der Linsen veränderte, begann er einen monotonen Singsang zu intonieren: »Besser so oder so? Besser so oder so?«
    Wie viele Tausende von Malen mag dieser Mann wohl jeden Tag »Besser so oder so?« sagen, fragte sich das Mädchen. Dies waren seine Worte, sie gehörten ihm. Ob ihm davon nicht ganz schwindlig wurde?
    Wie schön sie ist, dachte der Mann bei sich. Und in der Tat war sie sehr schön! Sie sah aus wie eine voll erblühte Frau, und sie trat auch wie eine solche auf, doch zugleich hatte sie all die großartigen und unübersehbaren Attribute der Jugend. Er begehrte, fürchtete und beneidete sie. Sie war von vollendeter Körperlichkeit, sie war reich, sie war jung. Und da er selbst mit allerlei äußerlichen Makeln behaftet war und außerdem mühsam seinen Lebensunterhalt verdienen musste, schien sie ihm vom Schicksal überreich beschenkt und gesegnet zu sein, obwohl er wusste, dass die Schwindsucht an ihr zehrte. Aus ihr sprach die Weisheit eines Menschen, der langsam dahinstarb. Das Fieber hielt sie unablässig in einem leichten Delirium, es erhob sie über die Dinge, wie es selbst Opium nicht vermocht hätte. Langanhaltende Fieberanfälle, die sich über Monate und Jahre erstreckten, verliehen diesem Sterben eine gewisse Würde. Doch warum musste der Tod sich so viel Zeit nehmen, bis er dieses Mädchen endgültig bezwang?
    Der ganze Raum war von tänzelnder Bewegung erfüllt, die in einem Halbkreis von dem Mädchen auszugehen schien. Die Flammen im Kamin zuckten und leckten wie Zungen, bisweilen drehten sie sich auch wirbelnd um sich selbst, einem bunten Kreisel ähnlich. Fensterläden ratterten, und die Zweige der Bäume scharrten an den Scheiben entlang, als kratzten Hundepfoten an der Tür. Das ganze Haus schien zu atmen. Beverly vermeinte, den Winter zu sehen. Auf Lichtbündeln, die von den glänzenden Linsen des optischen Gerätes wie schimmernde Lanzen aufzuckten, ritt er durch den Raum, hinüber zum Feuer, zum spiegelnden Glas der Fenster und schließlich zum Blau ihrer eigenen Augen. Das Zimmer, wie sie es sah, war ein Netz, ein Geflecht von Dingen, die sich in unablässiger Bewegung befanden, ein Zusammenspiel schelmisch tanzender Partikel, wie die schmiegsamen und scheinbar so gefügigen Töne eines fein gesetzten Konzertstückes. Wenn sie all dies sah, während irgendein Mann mit nervösen Händen an den funkelnden Linsen seines optischen Gerätes hantierte, um das Sehvermögen ihrer Augen zu überprüfen – was würde sie dann erst erblicken, sobald sich ihr Fieber bis zu Unerträglichkeit steigerte, fragte sich Beverly. Doch diese Überlegung war wohl müßig. Jetzt stand sie hier in diesem Raum, und auf unerklärliche Weise fühlte sie sich von dem flackernden Licht eingehüllt wie von den forschenden Blicken eines beflissenen Verehrers.
    »Das Pferd ist im Stall«, verkündete der alte Penn, als er wieder ins Zimmer trat. »Benötigen Sie noch irgendetwas aus Ihrer Kutsche? Ich kann es holen lassen …«
    »Einen Augenblick noch, Mr Penn«, sagte der Optiker. »Ist es besser so oder so? So oder so? So oder so?« Als er fertig war, sank er, erleichtert und zugleich enttäuscht, in einen Sessel. Dann ließ er sein abschließendes Urteil vernehmen: Beverlys Augen waren vollständig in Ordnung. Sie brauchte keine Brille.
    »Aber sie hat schon als kleines Mädchen immer eine Brille getragen!«, protestierte Isaac Penn.
    »Was soll ich dazu sagen? Fest steht, dass sie jetzt keine mehr

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