Wintermaerchen
aus der Tiefe das gedämpfte, rhythmische Pochen einer Maschine. Fast vermeinten sie das Brüllen des gelben Feuers in dem großen Kessel zu hören. In diesem Augenblick sehnte sich Peter mehr als um alles in der Welt danach, Beverly in seine Arme zu schließen, aber wie konnte er das wagen?
Beverly drehte sich ganz zu ihm hin und streckte ihm die Arme entgegen. Da ging er auf sie zu, als wäre er nur für sie geboren worden.
Im Sumpfland
D ass der Fluss in seinem Bett gefroren war, gab nicht nur Anlass zur Freude, sondern auch zur Besorgnis. Im Handumdrehen wurden auf dem Eis bunte Zelte aufgeschlagen und gefahrbringende Lagerfeuer entfacht. Der zugefrorene Fluss verwandelte sich innerhalb eines kurzen Wintertages in einen an alte Zeiten erinnernden Rummelplatz. Es zog die Menschen hinaus auf die glatte Fläche, denn dort bot sich ihnen aus der Ferne der herzergreifende Anblick ihrer ungewohnt stillen Stadt. Da die Fährschiffe im Eis gefangen waren, übernahmen Fuhrwerke, Planwagen, Maultiergespanne und sogar Lastautos den Transport von Menschen und Waren. Es war vielfach die Rede davon, dass sich eine neue Eiszeit näherte. Die Leute rückten eng zusammen wie Ratten in ihrem Nest. Sie kauerten an wärmenden Feuern oder vergruben sich in ihren Betten unter dicken Decken. An den nächsten Frühling schienen sie kaum noch zu glauben.
Eines Abends, es herrschte heftiges Schneetreiben, machte sich Peter Lake auf den Weg zum Sumpfland von Bayonne. Er benutzte den zugefrorenen Fluss als Straße. Zwar sah er nichts als bläulich weiße Kaskaden wirbelnder Schneeflocken vor seinen Augen und hatte das Gefühl, als ritte er mitten in eine pulsierende Leere hinein, doch brauchte Peter sich nur nach dem fernen Dröhnen des Wolkenwalls zu richten, um unfehlbar zum Ziel zu gelangen. Und während er dem vollen, dumpfen Brausen entgegenritt, ging ihm durch den Kopf, dass der Wolkenwall, wäre er lebendig – ob Chor der Geister oder Stimme eines Gottes, wer vermochte das schon zu sagen –, ihm gewiss nicht zürnen würde, weil er ihn gewissermaßen als Navigationshilfe, als Leuchtfeuer benützte. Peter fand nicht nur den richtigen Weg, sondern auch einen sicheren. Aufmerksam lauschte er dem Hufschlag des weißen Hengstes, der von der frischen Schneedecke gedämpft wurde.
Die meisten Pferde spüren das Wasser unter einer Eisdecke und werden scheu. An einer dünnen Stelle einzubrechen hätte bedeutet, im kalten, schwarzen Wasser zu ertrinken. Aber dieser weiße Hengst empfand keine Furcht. Er bewegte sich so zielstrebig voran wie auf einem vorgezeichneten Pfad. Den Kopf in die Höhe gereckt, strebte er dem fernen Grollen entgegen, als triebe ihn die Sehnsucht dorthin. Peter Lake konnte in dem dichten Schneetreiben den Hengst unter sich kaum sehen, aber er spürte, dass das Tier seinem eigenen Kompass folgte, dass es nur neu erlernte, was es früher einmal gewusst hatte. Im Übrigen war es durchaus nicht unangenehm, sich dem gemächlich stapfenden Schritt des Hengstes zu überlassen und zu entdecken, dass ein lautloses, nächtliches Schneegestöber eine in all ihrer Ungebundenheit durchaus elegante Art war, jene Ruhe zu finden, nach der es ihn, Peter, nun verlangte.
Stunden später, als er merkte, dass er sich längst im Sumpfland befand, weil sich das Eis und der Schnee über den Dünen zu länglichen Hügeln auftürmten, die wie Walrücken geformt waren, sagten ihm seine wachen Sinne, dass er beobachtet wurde. Gerade er verstand am besten, dass die Sumpfmänner, wenn im Winter ihre heimatlichen Gewässer zufroren, besondere Wachsamkeit walten ließen. Es drohte dann nämlich die Gefahr von räuberischen Horden. Jederzeit konnten sie über das Eis kommen und die Dörfer verwüsten. Die Sumpfmänner hatten die hessischen Söldner, die Indianer und andere Feinde aus noch entlegeneren Zeiten nicht vergessen. Peter vermeinte ihre argwöhnischen Blicke geradezu körperlich zu spüren, aber er ritt weiter hinein in den Druck dieser Augen, der auf ihm lastete. Auch der Hengst musste etwas gespürt haben, denn seine Hufe traten noch leiser und behutsamer auf.
Und dann sah sich Peter im Handumdrehen von ihnen umringt! Die Sumpfmänner trugen ihre Winterkleidung, dicke weiße Mäntel aus Kaninchenfell. Die Spitzen ihrer Speere waren auf den Eindringling gerichtet. Sie bildeten einen Kreis, aus dem es kein Entkommen gab. Wie geräuschlos sie aufgetaucht waren, wie vollkommen sie sich getarnt hatten in dem blendend weißen Gestöber!
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