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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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Ihren und würde es immer sein. Sie liebten ihn. Noch als die Kutschen längst verschwunden waren, blickte Peter ihnen nach. Nie sollte er das bleiche Mondgesicht des jungen Mannes und die Art, wie es an der Spitze der Prozession auf und ab hüpfte, vergessen.
    Aber keine Erinnerung, mochte sie noch so fein, scharf konturiert und kraftvoll sein, konnte das Bild überstrahlen, das er sich von Beverly bewahrt hatte. Es elektrisierte ihn in seiner Vollkommenheit. Nur an eines vermochte er sich nicht mehr zu erinnern: an die Farbe ihrer Augen. Sie waren rund, glänzend und schön, gewiss, aber waren sie grün, braun oder blau? Doch was bedeutete schon die Farbe dieser Augen, wenn Beverly langsam dahinstarb? Und eines stand fest: Diese blauäugige Beverly – war sie blauäugig? – schlich sich immer dann in seine Gedanken, wenn er es am wenigsten erwartete und wünschte.
    Peter verscheuchte die Erinnerung an sie. Vor seinem inneren Auge beschwor er einen glücklichen Sommer herauf. Während er auf seinem Lager ruhte, inmitten dieser eisbedeckten Landschaft, über die der Wind hinwegheulte, erstand vor ihm das Bild Manhattans, in dessen Straßen die Luft vor Hitze flimmerte. Er erblickte sich selbst, inmitten silberglänzender oder in warmem Rot erstrahlender Häuserschluchten unter ausladenden Bäumen von sattem Grün, in stillen Straßen, so dunkel und elegant wie alte Spiegel bei gedämpftem Licht. Zur Linken und zur Rechten tausend Gemälde, Inseln in der aus der Höhe herabströmenden Lichtflut. Bleiches, erhitztes Gestein, reglose Straßenhändler, inmitten ihrer Emsigkeit erstarrt. Gurrende, purpurrote Tauben, rund und muschelglatt. Ein Meer von Rosen im Park, Schatten, gesprenkelt wie ein Leopardenfell. Aber was war das alles ohne die grünäugige Beverly – war sie grünäugig? – und ihr weinrotes Schultertuch?
    Ich könnte mich tief im Inneren der Stadt verbergen, sagte sich Peter. Ich könnte mich in den flirrenden Farben verlieren, mich schlucken lassen von dem gewalttätigen Treiben, von der Waberlohe dieses sommerlichen Schmelzofens. Doch dann, mitten in der Lust der Selbstaufgabe, würde ich mich umdrehen und feststellen, dass sie mir gefolgt ist – dass sie mich verwandelt hat
    Die braunäugige Beverly – war sie braunäugig? – mit ihrem roten Schultertuch konnte ihn mit Leichtigkeit aus seinen Träumereien reißen. Ein junges Mädchen, ein zerbrechliches, schlichtes Mädchen ohne Arg, das kaum die Kraft hatte, sich nach dem Klavierspiel zu erheben, sondern eines fremden Armes bedurfte; ein Mädchen, das kein Gewehr abfeuern konnte, nie in einer Austernkneipe gezecht hatte, niemals einen Turm bestiegen oder sich bei den Werften herumgetrieben hatte; ein Mädchen, in dem ohne Unterlass die Glut eines Augusttages brannte; eine junge Frau, die wenig oder nichts wusste, hatte ihn, Peter Lake, so sehr getroffen, dass er seither nach Atem rang und nie wieder derselbe sein würde.
    Die Stadt verschlang in jedem Augenblick das Leben Hunderter von Menschen. Auch Beverly wäre schnell in jenem Häusermeer überwältigt, sie würde sich auflösen und verschwinden, auf den Klippen der Stadt schmelzen, erschöpft zugrunde gehen. Nein, sie wäre niemals imstande, ihm zu folgen, während er sich durch dieses Labyrinth mit seinen messerscharfen Kanten und Ecken einen Weg bahnte. Und dennoch – jene grünen, blauen oder braunen Augen würden ihn in allen Straßen, auf all seinen Pfaden zu finden wissen – mühelos.
    Am besten wäre es wohl, einen Schlussstrich zu ziehen, solange das noch möglich war. Diese Angelegenheit brachte nur Kummer und führte nirgendwo hin. Dort drüben, in jenem steinernen Ozean jenseits des Eises, gab es wahrhaftig keinen Mangel an Frauen. Immer wieder hatte Peter über ihre schier unendliche Zahl gestaunt. Viele waren schön und einladend wie ein ruhiger, begrünter Platz am Ende einer von tosendem Lärm erfüllten Straße. Allein schon durch ihre Sprache nahmen sie ihn gefangen, umklammerten ihn wie eine Perle, die vom unnachgiebigen Silber ihrer Fassung umspannt wird. Vor der Versuchung, sich in eine Stimme zu verlieben, hatte Peter sich schon immer hüten müssen. Einmal hatte sich eine Frau, von heftiger Eifersucht verzehrt, dazu hinreißen lassen, auf ihn zu schießen. Er befand sich gerade in einer Austernkneipe und lehnte an der Theke. Eine der Kugeln steckte noch immer in der Mahagonitäfelung, eine zweite zerschmetterte den Panzer einer Muschel, die dritte durchbohrte das

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