Wintermond
ich werde Sie lehren, den Schmerz zu hassen, statt ihn zu fürchten...«
»Vielleicht sollte ich lieber ein paar Uni-Kurse belegen und statt dessen Spanisch lernen.«
»...und dann werde ich Sie lehren, den Schmerz zu lieben, weil er ein sicheres Zeichen ist, daß Sie Fortschritte machen.«
»Und Sie sollten einen Kurs belegen, der Ihnen erklärt, wie Sie Ihre Patienten ermutigen können.«
»Sie müssen sich schon selbst ermutigen, McGarvey. Meine Aufgabe ist es hauptsächlich, Sie herauszufordern.«
»Nennen Sie mich Jack.«
Der Therapeut schüttelte den Kopf. »Nein. Ich nenne Sie vorerst McGarvey, und Sie nennen mich Bloom. So eine Beziehung ist am Anfang immer gegnerisch. Sie müssen mich hassen, um einen Brennpunkt für ihren Zorn zu haben. Wenn es soweit ist, können sie mich leichter hassen, wenn wir uns nicht mit den Vornamen ansprechen.«
»Ich hasse Sie jetzt schon.«
Bloom lächelte. »Sie werden es schaffen, McGarvey.«
ZWÖLFTES KAPITEL
Nach der Nacht des zehnten Juni lebte Eduardo mit einer Lüge. Zum erstenmal in seinem Leben war er nicht bereit, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, obwohl er wußte, daß dies niemals wichtiger gewesen wäre als gerade jetzt. Es wäre gesünder für ihn gewesen, die eine Stelle auf der Ranch aufzusuchen, an der er einen Beweis finden würde - oder auch nicht -, der seine dunkelsten Vermutungen über die Natur des Eindringlings bestätigen konnte, der ins Haus gekommen war, als er in Travis Potters Praxis in Eagle's Roost gewesen war. Statt dessen war dies der einzige Ort, den er beflissen mied. Er sah nicht einmal zu dem Grashügel hinüber. Er trank zu viel und scherte sich einen Dreck darum. Siebzig Jahre lang hatte er nach dem Motto >mäßig aber regelmäßig< gelebt, und diese Lebensauffassung hatte nur zu der erniedrigenden Einsamkeit und dem Entsetzen geführt, die er jetzt ertragen mußte. Er wünschte, das Bier - zu dem er sich gelegentlich einen guten Bourbon gönnte - hätte eine betäubendere Wirkung auf ihn gehabt. Er schien Alkohol geradezu unheimlich gut vertragen zu können. Selbst wenn er so viel davon gekippt hatte, daß seine Beine und sein Rückgrat zu Gummi zu werden schienen, blieb sein Geist viel klarer, als ihm lieb war.
Er suchte Zuflucht in Büchern, las ausschließlich Werke des Genres, für das er in letzter Zeit eine Vorliebe entwickelt hatte. Heinlein, Clarke, Bradbury, Sturgon, Benford, Clement, Wyndham, Christopher, Niven, Zelazny. Hatte er zuerst zu seiner Überraschung herausgefunden, daß phantastische Literatur herausfordernd und bedeutungsvoll sein konnte, stellte er nun fest, daß sie auch betäubend sein konnte, eine bessere Droge als jedes Bier, die darüber hinaus die Blase weniger belastete. Die Wirkung - entweder Aufklärung und Erstaunen oder intellektuelle und gefühlsmäßige Anästhesie - blieb strikt der Vorliebe des Lesers überlassen. Raumschiffe, Zeitmaschinen, Transmitter, fremde Welten, kolonisierte Monde, Außerirdische, Mutanten, intelligente Pflanzen, Roboter, Androiden, Klone, lebendige Computer mit künstlicher Intelligenz, Telepathie, Flotten von Sternenschiffen, die in weit entfernten Bereichen der Galaxis in Kämpfe verstrickt waren, der Zusammenbruch des Universums, rückwärts fließende Zeit, das Ende aller Dinge! Um nicht das Undenkbare denken zu müssen, verlor Eduardo Fernandez sich in einem Nebel des Phantastischen, in einer Zukunft, die es niemals geben würde. Der Reisende, der über die Schwelle gekommen war, wurde ruhig, grub sich im Wald ein, und die Tage verstrichen ohne neue Entwicklungen. Eduardo begriff nicht, warum es über Milliarden von Kilometern durch den Weltraum oder Tausende von Jahren durch die Zeit gekommen war, nur um sich im Schneckentempo an die Eroberung der Erde zu machen. Natürlich lag es im Wesen eines wahrhaft und zutiefst Fremden, das seine Motive und Taten geheimnisvoll und für einen Menschen vielleicht immer unbegreiflich sein würden. Vielleicht war das Ding, das aus dem Durchgang gekommen war, überhaupt nicht an der Eroberung der Erde interessiert, und sein Zeitbegriff mochte sich von dem Eduardos so radikal unterscheiden, daß für ihn Tage wie Minuten waren. In Science-fiction-Romanen gab es im Prinzip drei verschiedene Arten von Außerirdischen. Die guten wollten der Menschheit im allgemeinen helfen, ihr volles Potential als intelligente Rasse zu erreichen und danach in Gemeinschaft mit anderen Spezies zu leben und bis in alle Ewigkeit Abenteuer zu
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