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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Thermalwinden. Dann wirbelten die Vögel plötzlich in einem Luftballett der Freiheit durch den blauen Himmel und verschwanden im Westen. Jack sah ihnen nach, bis er sie nicht mehr ausmachen konnte. Seine Augen schimmerten feucht, und er wandte sich von dem Fenster ab, ohne den Blick auch nur einmal auf die Stadt unter und vor ihm zu senken. Heather und Toby besuchten ihn an diesem Abend und brachten Erdnußbutter-und-SchokoladenEiscreme von Baskin-Robins mit. Trotz des Rettungsrings um seine Taille verputzte Jack seinen Anteil. In der Nacht träumte er von Seemöwen. Drei Vögel. Mit herrlich breiten Flügeln. So weiß und leuchtend wie Engel. Sie flogen stetig gen Westen, stiegen höher und tauchten wieder hinab, drehten Kreise und Loopings, flogen aber immer nach Westen, und er lief unter ihnen über die Felder und versuchte, mit ihnen Schritt zu halten. Er war wieder ein Junge und breitete seine Arme aus, als wären sie Flügel, jagte Hügel hinauf, grasbewachsene Hänge hinab, Wildblumen peitschten gegen seine Beine, und er konnte sich problemlos vorstellen, jeden Augenblick abzuheben, frei von den Zwängen der Schwerkraft hoch oben in der Gesellschaft der Möwen zu fliegen. Dann endete die Wiese, während er zu den Möwen hinaufsah, und er trat mit den Füßen über einen Klippenrand hinaus in die Luft, und vielleicht hundert Meter tiefer sah er spitze, klingenförmige Felsen, und starke Wellen explodierten zwischen ihnen, weißer Gischt spritzte hoch in die Luft, und er fiel, fiel. Da wußte Jack McGarvey, daß es nur ein Traum war, doch er konnte nicht aufwachen, so sehr er es auch versuchte. Er fiel und fiel, kam dem Tod immer näher, aber nur fast, fiel und fiel dem schroffen, schwarzen Rachen der Felsen entgegen, fiel...
    Nach vier Tagen der zunehmend mühsameren Therapie im Westside General wurde Jack am elften Juni in die PhoenixRehabilitationsklinik verlegt. Obwohl die Rückgratfraktur geheilt war, hatte er einen Nervenschaden erlitten. Nichtsdestoweniger war seine Prognose ausgezeichnet. Sein Zimmer hätte sich auch in einem Hotel befinden können. Teppich statt Vinylfliesen auf dem Boden, eine grün und weiß gestreifte Tapete, hübsch gerahmte Drucke, die idyllische Landschaften zeigten, grell gemusterte, aber fröhliche Vorhänge vor den Fenstern. Nur die beiden Krankenhausbetten straften den Holiday-Inn-Eindruck Lügen. Der Raum, in dem die physikalische Therapie stattfand und in den der Patient zum erstenmal am Morgen des zwölften Juni um sechs Uhr dreißig in einem Rollstuhl gefahren wurde, war mit zahlreichen Übungsmaschinen ausgestattet. Er roch mehr nach einem Krankenhaus als nach einer Turnhalle, was Jack als ganz angenehm fand. Da er nun zumindest eine bloße Vorstellung hatte,
    was ihn erwartete, sah der Raum für ihn wie eine Folterkammer aus.
    Sein physikalischer Therapeut, Moshe Bloom, war Ende Zwanzig, einsneunzig groß und hatte einen so muskulösen und gut gebauten Körper, als befände er sich im Dauertraining für einen Nahkampf Mann gegen Panzer. Er hatte lockiges, schwarzes Haar, braune, mit Gold getupfte Augen und einen dunkler Teint, den die Sonne Kaliforniens zu einem schimmernder Bronzeton gebräunt hatte. In weißen Turnschuhen, weißer Baumwollhosen, einem weißen T-Shirt und einem ebensolchen Käppchen war er eine strahlende Erscheinung, die einen Zentimeter über dem Boden zu schweben schien und eine Botschaft Gottes überbrachte, die da lautete: >Ohne Fleiß kein Preis<.«
    »So wie Sie es sagen, klingt es nicht nach einem Rat«, sagte Jack zu ihm.
    »Ach?«
    »Sondern eher wie eine Drohung.«
    »Sie werden nach den ersten Sitzungen weinen wie ein Baby.«
    »Wenn Sie es darauf anlegen, kann ich jetzt sofort wie ein Baby weinen, und wir können beide nach Hause gehen.«
    »Sie werden die Schmerzen am Anfang fürchten.«
    »Ich kenne die Therapie vom Westside General.«
    »Das war nur ein kleines Spielchen für Waschlappen. Nichts im Vergleich zu der Hölle, durch die ich Sie jagen werde.«
    »Das klingt ja sehr tröstlich.«
    Bloom zuckte mit seinen gewaltigen Schultern. »Sie dürfen sich keine Illusion machen. So etwas wie eine leichte Rehabilitation gibt es nicht.«
    »Ich habe mir noch nie Illusionen gemacht.«
    »Gut. Sie werden den Schmerz zuerst fürchten, verabscheuen, sich vor ihm ducken, betteln, lieber halb verkrüppelt nach Hause geschickt zu werden, statt das Programm zu beenden...«
    »Mein Gott, ich kann es kaum abwarten endlich anzufangen.«
    »...aber

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