Wintermond
Zimmergenosse, ein fünfzigjähriger Architekt, der drei Tage hier gelegen hatte, war am Vortag nach Komplikationen bei einer eigentlich routinemäßigen Gallenblasenoperation gestorben.
Crawford setzte sich auf die Kante des leeren Bettes. »Ich habe gute Nachrichten für Sie.«
»Die kann ich auch brauchen.«
»Die Dienstaufsicht hat den Abschlußbericht über den Schußwechsel vorgelegt, und Ihnen ist ein einwandfreies Verhalten bescheinigt worden. Noch besser wird Ihnen gefallen, daß sowohl der Polizeichef als auch die Dienstaufsicht den Bericht als endgültiges Untersuchungsergebnis akzeptieren werden.«
»Warum ist mir nicht nach einem Jubelschrei zumute?«
»Wir beide wissen, daß die Forderung nach einer Untersuchung Blödsinn war. Aber wir beide wissen auch...sobald sie diese Tür erst einmal geöffnet haben, schließen sie sie nicht immer, ohne einem armen, unschuldigen Arschloch die Finger einzuklemmen. Also können wir zufrieden sein.«
»Ist Luther auch freigesprochen worden?«
»Ja, natürlich.«
»Na schön.«
»Ich werde Sie zu einer Belobigung vorschlagen - und Luther auch, posthum. Beide werden gebilligt werden.«
»Vielen Dank, Captain.«
»Sie haben es sich verdient.«
»Die hohen Tiere von der Aufsicht sind mir scheißegal, und der Polizeichef kann meinetwegen auch zur Hölle fahren. Aber die Belobigung bedeutet mir etwas, weil Sie uns vorgeschlagen haben.« Crawford sah zu seiner braunen Mütze hinab, die er unablässig mit seinen braunen Händen drehte. »Das weiß ich zu schätzen«, sagte er.
Beide schwiegen eine Weile. Jack dachte an Luther. Er vermutete, daß Crawford auch an ihn dachte.
Schließlich sah Crawford von seiner Mütze auf. »Und jetzt zu den schlechten Nachrichten«, sagte er.
»Es muß wohl immer welche geben.«
»Nicht direkt schlechte Nachrichten, nur ärgerliche. Haben sie von dem Arnson-Oliver-Film gehört?«
»Von welchem? Er hat drei Stück gedreht.«
»Also haben Sie nicht davon gehört. Seine Eltern und seine schwangere Verlobte haben einen Vertrag mit Warner Brothers unterschrieben.«
»Einen Vertrag?«
»Sie haben die Rechte an Anson Olivers Lebensgeschichte für eine Million Dollar verkauft.«
Jack war sprachlos.
»Sie behaupten, sie hätten den Vertrag aus zwei Gründen geschlossen. Zuerst wollen sie für Olivers ungeborenen Sohn sorgen und die Zukunft des Jungen sichern.«
»Was ist mit der Zukunft meines Jungen?« fragte Jack wütend. Crawford sah ihn an. »Sie sind ja stinksauer.«
»Allerdings!«
»Verdammt, Jack, seit wann interessieren sich Leute wie die für unsere Kinder?«
»Überhaupt nicht.«
»Genau. Sie und ich und unsere Kinder, wir sind dafür da, um ihnen zu applaudieren, wenn sie etwas Künstlerisches oder Hochgeistiges tun - und um hinter ihnen aufzuräumen, wenn sie eine Schweinerei machen.«
»Das ist nicht fair«, sagte Jack. Dann lachte er über seine eigenen Worte - als könne ein erfahrener Cop noch erwarten, daß das Leben fair sein, Tugend belohne, das Böse bestrafe.
»Ach, zum Teufel, was soll's?«
»Sie dürfen sie deshalb nicht hassen. So sind sie nun mal, so denken sie. Sie werden sich nie ändern. Genausogut könnten Sie ein Gewitter hassen oder dem Eis übelnehmen, daß es kalt ist, oder dem Feuer, daß es heiß ist.«
Jack seufzte. Er spürte immer noch die Wut in sich, aber gedämpft.
»Sie haben gesagt, sie hätten den Vertrag aus zwei Gründen geschlossen. Was ist der zweite?«
»Sie wollen einen Film drehen, der >dem Genie Anson Olivers ein Denkmal setzt<«, sagte Crawford. »So hat der Vater es ausgedrückt.
>Dem Genie Anson Olivers ein Denkmal setzen.<«
»Um Gottes willen.«
Crawford lachte leise auf. »Ja, genau. Und die Verlobte, die Mutter des zukünftigen Erben, sagt, dieser Film werde Anson Olivers kontroverse Karriere und seinen Tod in die historische Perspektive setzen.«
»In was für eine historische Perspektive? Er hat Filme gedreht. Er war nicht der Führer der westlichen Welt - er hat nur Filme gemacht.« Crawford zuckte die Achseln. »Tja, nachdem sie ihn erst mal aufs Podest gesetzt haben, wird er wohl als energischer Kämpfer gegen die Drogen gelten, als unermüdlicher Anwalt für die Obdachlosen...«
Jack nahm den Faden auf. »Als frommer Christ, der einmal in Erwägung zog, sein Leben der Missionsarbeit zu widmen...«
»...bis Mutter Theresa ihm sagte, er solle statt dessen Filme machen...«
»...und wegen seiner eindrucksvollen Erfolge im Namen der
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