Wintermond
eng gekrümmt war wie die in einem Leuchtturm. Die hölzernen Stufen waren nicht von Teppich bedeckt und knarrten, als die vier sie hinabstiegen. Heather empfand augenblicklich Abneigung gegen die Treppe. Vielleicht reagierte sie in dem engen fensterlosen Raum etwas klaustrophobisch, als sie Paul Youngblood und Toby hinabfolgte, während Jack die Nachhut bildete. Vielleicht war ihr wegen der unzureichenden Beleuchtung unbehaglich - zwei weit auseinander hängende nackte Glühbirnen an der Decke. Ein leicht moderiger Geruch tat das seine hinzu. Genau wie die Spinnwebern, an denen tote Motten und andere Insekten hingen. Aus welchem Grund auch immer, ihr Herz begann zu hämmern, als würden sie die Treppe hinauf- und nicht hinabsteigen. Wie der namenlose Schrecken in einem Alptraum übermannte sie die bizarre Furcht, daß unten etwas Feindseliges und unendlich Fremdes auf sie wartete. Die letzte Stufe führte in einen fensterlosen Verbindungsgang, und Paul mußte einen Schlüssel hervorholen, um die erste von zwei unteren Türen zu öffnen.
»Die Küche«, sagte er.
Hier erwartete Heather nichts, wovor sie Angst haben mußten, nur ein nüchterner Raum.
»Wir gehen hier entlang«, sagte der Anwalt und drehte sich zu der zweiten Tür um, die er ohne Schlüssel öffnen konnte. Aber als der Riegel des Schlosses klemmte, da er nur selten benutzt worden war, erwiesen die paar Sekunden Verzögerung sich fast als mehr, als Heather ertragen konnte. Nun war sie davon überzeugt, daß hinter ihnen etwas die Treppe hinabkam, das mörderische Phantom eines bösen Traums. Sie wollte sofort aus diesem engen Raum hinaus, unbedingt hinaus. Ächzend schwang die Tür auf. Sie folgten Paul durch den zweiten Ausgang auf die hintere Veranda. Sie standen dreieinhalb Meter links von dem hinteren Haupteingang des Hauses, der in die Küche führte. Heather atmete mehrmals tief durch und säuberte ihre Lungen von der vergifteten Luft des Treppenhauses. Ihre Furcht ließ schnell nach, und ihr Herz schlug wieder normal. Sie sah in das Vestibül zurück, in dem die Stufen der Wendeltreppe sich außer Sicht hoben. Natürlich tauchte kein Bewohner eines Alptraums auf, und die Panik, die sie kurz zuvor ergriffen hatte, kam Heather jetzt töricht und unerklärlich vor. Jack, der von dem inneren Aufruhr seiner Frau nichts ahnte, legte eine Hand auf Tobys Kopf. »Tja, wenn das dein Zimmer sein wird, möchte ich dich nicht erwischen, wie du Mädchen die Hintertreppe hinaufschmuggelst.«
»Mädchen?« fragte Toby erstaunt. »Igitt. Warum sollte ich denn was mit Mädchen zu tun haben?«
»Da wirst du mit der Zeit wohl von allein drauf kommen«, sagte der Anwalt amüsiert.
»Und es wird gar nicht mehr lange dauern«, erklärte Jack. »In fünf Jahren werden wir diese Treppe mit Beton füllen und für immer verschließen müssen.«
Heather fand die Willenskraft, der Tür den Rücken zuzudrehen, als der Anwalt sie schloß. Sie war immer noch von ihrem Angstanfall überrascht, empfand aber gleichzeitig Erleichterung, daß niemand ihre seltsame Reaktion mitbekommen hatte. Der große L.A.-Bammel! Sie hatte die Stadt noch nicht abgeschüttelt. Sie befand sich im ländlichen Montana, wo es wahrscheinlich seit zehn Jahren keinen Mord mehr gegeben hatte und die meisten Leute die Türen weder am Tag noch in der Nacht abschlossen - doch psychisch hielt sie sich noch im Schatten der Big Orange auf, lebte mit der unterbewußten Erwartung einer plötzlichen, sinnlosen Gewalt. Nur ein verzögerter Fall vom großen L.A.-Bammel.
»Ich zeige Ihnen lieber den Rest des Anwesens«, sagte Paul.
»Uns bleibt nur noch eine halbe Stunde Tageslicht.«
Sie folgten ihm die Verandatreppe hinab und einen rasenbedeckten Hang hinauf zu einem kleineren Steinhaus, das zwischen Nadelbäumen versteckt am Waldrand lag. Heather erkannte es von den Fotos, die Paul ihnen geschickt hatte: Die Wohnstätte des Hausmeisters. Die Dämmerung brach herein, und im Osten färbte sich der Himmel saphirblau. Im Westen, wo die Sonne den Bergen entgegeneilte, verblich er zu einem helleren Blau. Die Temperatur war unter zehn Grad gefallen. Heather stopfte die Hände in die Jackentaschen und zog die Schultern ein. Sie stellte erfreut fest, daß Jack den Hügel energisch hinaufstieg und nicht mehr humpelte. Gelegentlich tat ihm das linke Bein weh, und er schonte es, aber nicht an diesem Tag. Sie konnte kaum glauben, daß ihr Leben erst vor acht Monaten auf ewig eine Wendung zum Schlimmeren genommen zu
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