Wintermond
hätte man ihn diskret, aber mit sanfter Gewalt hinausgeworfen. Er war fünfzig Jahre alt, groß, schlank und hatte kurzgeschnittenes, eisengraues Haar. Sein Gesicht war faltig und gerötet - er hielt sich anscheinend oft unter freiem Himmel auf -, und seine großen, ledrigen Hände waren von körperlicher Arbeit vernarbt. Er trug ausgetretene Stiefel, braune Jeans, ein weißes Hemd und eine Westernkrawatte mit silberner Schnalle, die einem bockenden Wildpferd nachgebildet war. In L.A. wären Leute in so einer Ausstattung Zahnärzte, Buchhalter oder leitende Angestellte gewesen, die sich für einen Abend in einer Country-Western-Bar kostümiert hätten, ohne ihre wahre Existenzform verbergen zu können. Aber Youngblood sah aus, als wäre er in Western-Kleidung auf die Welt gekommen, geboren zwischen einem Kaktus und einem Lagerfeuer, und aufgewachsen auf einem Pferderücken. Obwohl der Anwalt hart genug zu sein schien, um in die Stammkneipe von Motorradrockern zu gehen und es dort mit jedem aufzunehmen, sprach er leise und so höflich, daß Jack sich bewußt wurde, wir schlecht seine Manieren unter dem ständigen Verschleiß des täglichen Lebens in der Stadt geworden waren. Den kleinen Toby nahm Youngblood für sich ein, indem er ihn >Scout< nannte und ihm anbot, das Reiten beizubringen: »Im kommenden Frühling, wir fangen natürlich mit einem Pony an...und vorausgesetzt, deine Eltern haben nichts dagegen.« Als der Anwalt eine Wildlederjacke anzog und einen Cowboyhut aufsetzte, bevor er sie zur Quartermass-Ranch brachte, betrachtete Toby ihn mit großen, erstaunten Augen. Sie folgten Youngbloods weißem Bronco fünfundzwanzig Kilometer durch eine Landschaft, die noch schöner war, als es auf den Fotos den Anschein gehabt hatte. Zwei Steinsäulen, die von einem verwitterten Holzbogen überspannt wurden, markierten die Auffahrt zum Besitz. In den Bogen war in einer rustikalen Schrift QUARTERMASS RANCH eingebrannt worden. Sie bogen von der Landstraße ab, fuhren unter dem Schild her und hügelaufwärts.
»Mann! Das alles gehört uns?« fragte Toby vom Rücksitz. Er war von den weiten Feldern und Wäldern ganz hingerissen. Bevor Jack oder Heather antworten konnten, stellte er die Frage, die er zweifellos schon seit einigen Wochen hatte stellen wollen: »Kann ich einen Hund haben?«
»Nur einen Hund?« fragte Jack.
»Was?«
»Bei so viel Land könntest du dir auch eine Kuh als Haustier halten.«
Toby lachte. »Kühe sind keine Haustiere.«
»Da irrst du dich aber«, sagte Jack und bemühte sich um einen ernsthaften Tonfall. »Kühe sind verdammt gute Haustiere.«
»Kühe?« wiederholte Toby ungläubig.
»Nein, wirklich. Du kannst einer Kuh beibringen, ein Stöckchen zu holen, sich auf den Rücken zu rollen, um etwas zu fressen zu betteln, Pfötchen zu geben, alles, was Hunde auch können - und sie gibt noch Milch für deine Cornflakes zum Frühstück.«
»Jetzt willst du mich reinlegen. Mom, stimmt das?«
»Das einzige Problem ist nur«, sagte Heather, »wehe, wenn die Kuh gern Autos hinterherläuft. In diesem Fall könnte sie viel mehr Schaden anrichten als ein Hund.«
»Das ist doch Unsinn«, sagte der Junge und kicherte.
»Nicht, wenn du in dem Wagen sitzt, der von der Kuh verfolgt wird«, versicherte Heather ihm.
»Dann bekommst du’s ganz schnell mit der Angst zu tun« pflichtete Jack ihr bei.
»Dann hätte ich lieber einen Hund.«
»Na ja, wenn du wirklich einen haben willst«, sagte Jack.
»Ist das dein Ernst? Bekomme ich einen Hund?«
»Ich wüßte nicht, warum nicht«, sagte Heather.
Toby jauchzte vor Freude. Die Privatstraße führte zum Haupthaus, das hinter einer Wiese mit goldbraunem Gras lag. Die Sonne erhellte den Besitz im Westen, und das Haus warf einen langen, purpurnen Schatten. Sie parkten neben Paul Youngbloods Bronco. Sie begannen die Besichtigungstour im Keller. Obwohl er fensterlos war und völlig unter der Erde lag, war er kalt. Der erste Raum enthielt eine Waschmaschine, einen Trockner, einen Doppelabfluß und ein paar Kiefernschränke. Die Ecken der Decke wurden von der Baukunst der Spinnen und ein paar eingesponnener Motten geschmückt. Im zweiten Raum standen ein Heizungsbrenner und ein Wasserboiler. Des weiteren befand sich dort ein japanischer Stromgenerator, der etwa so groß war wie eine Waschmaschine. Er sah aus, als könne er genug Energie erzeugen, um eine ganze Kleinstadt mit Licht zu versorgen. »Warum brauchen wir den ? « fragte Jack und deutete auf den
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