Wintermond (German Edition)
er sich, wie er wohl aussehen würde. Einfach, ob sich irgendetwas an ihm verändert hatte, was er nicht mitbekommen hatte. Er seufzte auf und begann sich abzutrocknen.
Als er damit fertig war, griff er nach seinem Klamottenknäuel und fummelte sich seine Boxershorts heraus. Er zog sie schnell an und stellte sich dann erneut vor den Spiegel. Das Handtuch warf er zusammen mit der nassen Badehose in einen dafür vorgesehenen Wäschekorb und machte sich gleich darauf an seine verbundene Hand. Er schauderte sich etwas vor dem, was ihm unter dem nassen Verband erwarten würde, doch musste dieser dringend gewechselt werden. Vorsichtig entfernte er den dreckigen Stoff und konnte dabei spüren, wie seine Hand sich von Mal zu Mal freier anfühlte.
Nur noch eine Schicht trennte ihn von seiner Verletzung. Alex löste den Stoff behutsam, denn durch das getrocknete Blut hatte dieser sich halbwegs mit seiner verletzten Haut verbunden. Dann war er fertig. Bevor er sich genauer mit seiner Verletzung befasste, warf er den alten Verband in den Mülleimer und knipste zusätzlich ein Licht am Spiegel an.
Er hielt die Hand in das weiße Licht, beugte sich etwas vor und betrachtete daraufhin die Folgen seines Wutausbruches. Vorsichtig bewegte er jeden einzelnen Finger und gewöhnte sich dabei an das ziepende Gefühl. So lange, bis er alle Finger auf einmal ausstrecken konnte. Seine Handfläche war mit etlichen Schnittwunden versehen, manche nur oberflächlich, manche etwas tiefer und eine von ihnen schien sehr tief zu sein. Sie war lang und breit und sah fast so aus, als ob Alex während einer Operation aus dem OP-Saal geflüchtet wäre. Bei diesem Gedanken musste er etwas schmunzeln. Dennoch ärgerte er sich über seinen ungezügelten Ausraster und hoffte, dass die Wunden schnell verheilen und möglichst wenig Narben zurückbleiben würden. Er hielt die Hand vor sich in der Luft und öffnete mit der anderen eine der Schubladen. Dort kramte er sich eine Tube Wundsalbe heraus, schraubte den Deckel mit Hilfe seiner Zähne ab und verteilte schließlich großzügig etwas von der weißen Paste auf seiner Hand. Dann nahm er sich einen neuen Verband und ließ sich zusammen mit diesem auf dem Badewannenrand nieder. Als er seine Hand frisch verbunden hatte, stand er wieder auf, griff nach seiner restlichen Kleidung und zog sich an. Die oberen Knöpfe seines Hemdes ließ er offen und blickte erst dann wieder auf. Blaue Augen trafen auf blaue. Es war sein Spiegelbild, das ihn argwöhnisch betrachtete. Alex guckte skeptisch zurück. Erst in jenem Moment begann er erneut an den Sex mit Ben zu denken. Das Verarzten seiner Hand hatte ihn doch tatsächlich für ein paar Minuten von diesem Sachverhalt abgelenkt.
Er sah blass und müde aus, aber nicht sonderlich anders. Das verstand Alex nicht. Wieso sah er so gewöhnlich aus, wenn er sich doch derart fremd und untypisch fühlte? Er neigte sein Gesicht zur einen, dann zur anderen Seite und suchte zwanghaft nach irgendeinem Indiz für sein verändertes Körpergefühl. Nachdenklich fuhr er sich mit dem Zeigefinger über seine Lippen, schloss seine Augen dabei etwas und versuchte sich dadurch aus einer objektiveren Perspektive zu betrachten. Doch selbst das half nichts. Er fand keine Veränderung, sondern sah aus wie immer.
Irgendwann gab Alex auf, frisierte sich stattdessen noch flüchtig die Haare und verschwand schließlich aus dem Badezimmer. Er durchquerte den Flur bis zu seinem Zimmer und betrat es daraufhin. Auch dort schloss er augenblicklich die Tür hinter sich, da er noch immer befürchtete, Ben begegnen zu können. Doch um genauer über den Dunkelhaarigen nachzudenken, blieb ihm nicht viel Zeit, denn sofort erschrak er über das Chaos in seinem Zimmer. Der ganze Raum war vollkommen verwüstet.
„Ach, Scheiße!“, fluchte Alex und blickte sich überfordert um.
Eigentlich war er ein überaus ordentlicher Mensch, weshalb er sich sofort in dieser ihn umgebenden Unordnung unwohl fühlte. Seit seinem Wutausbruch war er nur noch wenige Male in seinem Zimmer gewesen: Zum Umziehen, bevor er erst zu Diego und dann ins Christiansen’ss gefahren war, zum nächtlichen Ausnüchtern und zum Holen seiner Badehose. Doch durch den geplatzten One-Night-Stand, die dabei entstandenen Fragen und Zweifel, durch den vielen Alkohol und letztendlich den Sex mit Ben hatte er das ganze Chaos bislang völlig verdrängt. Ob er wollte oder nicht, erinnerte ihn der Zustand seines Zimmers nun jedoch noch stärker an den
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