Wintermond
niedergestreckt zu werden.
Augenblicklich richtete der Wolf sich auf. Er umfing David wie einen schützenden Mantel im Schneesturm und stimmte ein freudiges Geheul an, das durch den Audienzsaal hallte, bis auch die letzten Köpfe in seine Richtung herumfuhren. Obgleich Mathol ihm in der Rangordnung überlegen war, schien auch Davids Wolf die Auseinandersetzung nicht zu scheuen.
In Mathols Gesicht zuckte es, dann zog er die Lippe zurück, bis das mächtige Gebiss freilag. »Du kleiner Pisser«, knurrte er. Mit einem Satz baute er sich vor David auf und verpasste ihm einen heftigen Stoß gegen die Brust.
David taumelte zurück, fing sich aber wieder und wehrte einen Faustschlag ab, der auf sein Gesicht zielte. Derartig herausgefordert, wollte der Wolf die Führung an sich reißen, doch David drängte ihn im letzten Augenblick zurück. Zu sehr fürchtete er sich vor dem, was der Dämon anrichten könnte, wenn er erst einmal seinem Willen entglitten war.
Mathols Angriffe waren brutal und folgten so schnell aufeinander, dass David kaum begriff, wie er sie überhaupt abwehrte. Aber als Mathol mit rotglühendem, verzerrtem Gesicht einen Schritt zurücksetzte, um Luft zu holen, stand er immer noch aufrecht. Ein Wunder, das David nicht recht begreifen konnte. Erneut stürmte Mathol auf ihn zu, die Hände klauenartig vorgestreckt. Er grub seine Finger in den Stoff von Davids Jacke, um ihn mit aller Gewalt zu Fall zu bringen.
»Los, runter auf den Boden. Ich werde dir zeigen, was Spaß macht!«, brüllte er, dass ihm der Speichel von den Lippen flog.
David versuchte unterdessen nur noch, Mathol abzuschütteln und gleichzeitig seinen vor Wut rasenden Wolf unter Kontrolle zu halten. Doch ganz gleich, wie sehr er sich auch anstrengte und alle Hemmungen, brutal zurückzuschlagen, abstreifte, Mathol wich keinen Deut zurück. Als der Mann jedoch Davids Unterarm zwischen die Zähne bekam und zubiss, brüllte David zornentbrannt auf und trat Mathol die Beine weg. Gemeinsam stürzten sie zu Boden.
Mathol stierte seinen Gegner an, der ihn mit dem ganzen Gewicht seines Körpers zu Boden drückte, dann gab er endlich das Fleisch frei. Obwohl sein Wolf darauf drängte, den unter ihnen liegenden Mann endgültig zu bezwingen, zögerte David. Seine ganze Maskerade flöge auf, wenn er diesen Mistkerl jetzt unterwarf. Aus diesem Grund wollte er schon von ihm ablassen und sich in die Höhe stemmen, als Mathols Mundwinkel verräterisch zuckten. Hochschnellend versuchte er, seine Zähne in Davids Kehle zu versenken. Doch David reagiert prompt und stoppte Mathols Angriff, indem er seine Stirn gegen dessen Nasenbein krachen ließ. Vor Wut und Schmerz brüllend, sank Mathol auf den Boden zurück. Ehe David zum nächsten Schlag ausholen konnte, um ihm noch etwas ganz anderes als die Nase zu brechen, wurde er im Nacken gepackt und außer Reichweite gezerrt.
Nathanels Wolf schleuderte David beiseite, dann platzierte er sich mit einem warnenden Knurren zwischen ihm und Mathol, der sich mühselig aufrappelte. Dabei machte er keinerlei Anstalten, erneut anzugreifen, obwohl ihm anzusehen war, wie viel ihn diese Selbstbeherrschung angesichts der gerade erlittenen Niederlage kostete.
Einen Augenblick später trat Nathanel hinzu und verschmolz wieder mit seinem Schatten. »Ab jetzt gehört die Aufmerksamkeit Hagen«, sagte er so ruhig, als herrsche nicht der geringste Zweifel daran, dass die beiden Kämpfenden seine Anordnung befolgen würden. Und tatsächlich ließ sich niemand zu einem Kommentar oder gar zu einer Drohgebärde hinreißen. Der beeindruckende Beweis seiner Macht hatte Nathanel den Respekt des ganzen Saales eingebracht. Denn außer Hagen und ihm vermochte sich kein anderer aus dem Rudel von seinem Schatten zu trennen. Diese Loslösung forderte viel zu viel Macht und Kraft - vom Menschen genauso wie vom Wolf.
Während Mathol sich widerstrebend hinter Nathanel verzog, kauerte David weiterhin auf dem Boden, vertieft in einen Kampf mit seinem verletzten Stolz und seinem weiterhin aufbegehrenden Wolf. Er war kurz davor, sich über Nathanels Befehl hinwegzusetzen, als die Seitentür des Audienzsaals aufschwang und Hagen in Begleitung von Amelia eintrat.
Obgleich Amelia nicht gerade klein war, wirkte sie an der Seite ihres imposant gebauten Gefährten fast grazil. Ihr dunkelgolden schimmerndes Kleid, das sie an diesem Abend trug, verstärkte dagegen Hagens Düsterheit. Es wirkte wie eine abgesprochene Inszenierung: Sonne und Schatten.
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