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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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übereinandergeschlagenen Beinen auf eine Tischecke und strich sich mit einer trägen Bewegung das goldbraune Haar zurück, während Nathanel sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte und sichtlich mit seiner Erschöpfung kämpfte.
    Davids Versuch, sich in die Reihen des Rudels zurückfallen zu lassen, wurde von einem plötzlich auftauchenden Leug verhindert, der sich hinter ihm aufbaute wie eine Mauer. Den  Kiefer vor Wut zusammengepresst, fügte sich David und gesellte sich zu Nathanel, der ihn nicht weiter beachtete. Von Mathol war unterdessen keine Spur zu entdecken.
    Hagens Blick glitt über die gut vierzig Gesichter seines Rudels, Männer wie Frauen, mehr junge als alte, denn etwas in dem Dämon oder der Lebensweise im Rudel sorgte dafür, dass sie kein besonders langes Leben führten. Die meisten von ihnen waren unauffällige Gestalten, in ihrer zurückhaltenden Art schon fast seltsam anmutend. Alltagsgesichter, die keine Aufmerksamkeit auf sich lenkten, den Blick gesenkt, als müssten sie das leuchtende Blau ihrer Augen verbergen.Vermutlich hatten sie alle schon zu viel Aufmerksamkeit wegen ihrer Andersartigkeit auf sich gezogen. Nur einige Gestalten stachen aus diesem grauen Einerlei hervor. Sie versuchten offenbar, sich darin zu übertrumpfen, Hagens grimmiges Auftreten nachzuahmen.
    Allerdings hatte der Rudelführer für die Gesichter, mit denen er sich üblicherweise am häufigsten umgab, heute keinen zweiten Blick übrig. Stattdessen konzentrierte er sich auf diejenigen, die hastig die Lider niederschlugen und sich vor lauter Unsicherheit im Gedränge des Rudels verbargen. Anstelle von Wärme und Vertrauen schlug Hagen eine auf Vorsicht gedrillte Anspannung entgegen, aber er erwartete auch nichts anderes. Er gehörte nicht zu jenen Anführern, die viel auf Zuneigung und ehrlich erworbenen Respekt gaben. Seit er die Führung übernommen hatte, war es weniger darum gegangen, dass Miteinander von Mensch und Wolf erträglich zu gestalten, als darum, den Einfluss des Anführers zu stärken - und zwar außerhalb des Rudels. Darum ging es Hagen.
    Dadurch unterschied er sich von seinen Vorgängern und auch von den anderen Rudelführern in der Stadt. Es drängte ihn danach, sein Jagdrevier zu vergrößern, damit seine über  die Jahre pervers angewachsene Reißlust befriedigt werden konnte. Einige behaupteten hinter vorgehaltener Hand, dass es bei den Ritualen schon lange nicht mehr darum ging, den Jagdtrieb des Rudels zu befriedigen und den Wolf zu stärken, damit er das Revier behaupten konnte. Sondern dass alles darauf abzielte, den Dämon zu brechen, etwas aus ihm zu machen, was er nicht war: eine blutdurstige Bestie.
    Wenn die Sprache auf dieses Thema kam, hielt David sich zurück. Denn jählings erscholl Convinius’ vertraute Stimme, die ihn mahnte, dass der Wolf ohne Zweifel eine mörderische und widernatürliche Bestie sei. Die Mitglieder eines Rudels, hatte Convinius stets abfällig behauptet, redeten sich gegenseitig ein, es mit einem Wesen zu tun zu haben, das ein natürlicher Teil von ihnen war und Gemeinsamkeiten mit einem echten Wolf aufwies. Aber Convinius hatte den Wolf einen Dämon, einen grausamen Fluch genannt, der einen zur Einsamkeit verpflichtete. Lange Zeit hatte David ihm geglaubt, doch mittlerweile wusste er nicht mehr, was er davon halten sollte. Obwohl er nur am Rand des Rudels lebte, hatte er doch beobachten können, dass viele von ihnen sich mehr nach Ruhe und Geborgenheit als nach Opfern sehnten.
    David hasste diese Grübeleien, denn er wollte am liebsten gar nicht darüber nachdenken, genauso wenig, wie er sich mit seinem Wolf auseinandersetzen wollte. Da er ihn nicht rief und die meisten seiner Kämpfe ohne seine Mithilfe bestritt, hatte sich der Dämon die letzten Jahre nur selten gemeldet und kauerte im Inneren seines Hüters wie in einer dunklen Höhle. Ein verwaistes, gezähmtes Geschöpf - bis jetzt. Seit Meta in Davids Leben getreten war, war der Wolf zweifellos reger geworden. Sein wildes Aufbegehren während des Kampfes mit Mathol war der beste Beweis dafür. Es schien, als hätte Meta den Wolf hervorgelockt. Oftmals kam es David sogar vor, als sehne der Dämon sich genauso nach ihrer Nähe wie  er. Dass er bei dieser Vorstellung einen eifersüchtigen Stich verspürte, machte das Ganze noch verwirrender. Seit der ersten Nacht, die er mit dieser leidenschaftlichen und zugleich kühlen Frau verbracht hatte, ließ sich die Gleichgültigkeit, mit der er durchs Leben

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