Wintermond
Saal kaum zu Jannik durchdringen konnte: Hagens Ruf hing wie eine Bleidecke über ihnen und absorbierte alles. Es würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als sich durch die Menge zu zwängen, bis er seinen Freund gefunden hatte. Dabei hätte er sich am liebsten unauffällig in eine Ecke zurückgezogen, um aus sicherer Entfernung herauszufinden, was Hagen plante.
Einen Augenblick lang pochte ihm das Herz bis in die Kehle, als ihm der Gedanke kam, dass Jannik die kleine Unterredung mit Maggie tatsächlich nicht für sich behalten hatte und sie sich nun vor dem gesamten Rudel für ihren Verrat verantworten müssten. Nein, das kann es nicht sein, entschied David.Wenn Hagen etwas von diesem Treffen erfahren hätte, dann hätte er bestimmt eine große Inszenierung daraus gemacht. Mathol und sein undurchdringlicher Kamerad Leug wären sofort mit großer Begeisterung bei ihm aufgeschlagen, und Hagen selbst hätte sich nicht um das Vergnügen einer kleinen Privataudienz bringen lassen, bevor er ihn dem Rudel vor die Füße warf. Nein, es wird um dieses elende Kräftemessen mit Sascha und seinem Haufen gehen, worum auch sonst?
Vermutlich würde ihnen heute Abend ein Ritual ins Haus stehen. Es wäre das erste seit langer Zeit, an dem das ganze Rudel teilnahm: Das Rudel jagt, dem Anführer steht jedoch das Vorrecht zu, die Beute zu schlagen. Da er die Macht besitzt, das Rudel zu leiten, muss er von diesem Recht keinen Gebrauch machen. Je moderner die Zeiten wurden, desto seltener griffen die Anführer auf dieses Recht zurück - aus gutem Grund. Der Wolfsdämon verlieh übermenschliche Kräfte und potenzierte die Sinne, aber er machte nicht unsterblich. Da nur sehr wenige Kinder mit dieser verräterischen blauen Augenfarbe geboren wurden, war es unleugbar klüger, nicht zu viele Menschen zu reißen. Das würde nur unnötige Aufmerksamkeit auf das Rudel lenken. Jene, die sich oder den Wolf nicht beherrschen konnten, fielen deshalb sehr schnell den Gesetzen ihres eigenen Rudels zum Opfer.
David atmete noch einmal tief ein, dann schob er sich in den überfüllten Saal und sah in unzählige Augenpaare, die von demselben tiefen Blau waren wie seine eigenen. Instinktiv senkte David den Blick und wurde Teil der Menge, zumindest so lange, bis Mathols beißende Stimme ihn herausriss.
»Sieh an«, sagte Hagens Schläger, der sich selbst im größten Gedränge an ausreichend Platz erfreuen durfte. »Unser Stargast des heutigen Abends ist endlich eingetroffen.«
David deutete eine schiefe Verbeugung an. Seit Meta mit dem Taxi davongefahren war, war ihm bewusst geworden, dass er im Verlauf der anbrechenden Nacht in irgendeiner Weise für ihre gemeinsamen Stunden würde bezahlen müssen. Doch selbst jetzt, da er einem schadenfrohen und sichtlich gereizten Mathol gegenüberstand, änderte sich nichts an seiner Überzeugung, dass es das wert gewesen war.
»Das hat Spaß gemacht, nicht wahr? Deine kleine Süße hat aber auch ein ordentliches Durchhaltevermögen«, hakte Mathol nach und trat einen Schritt weiter auf David zu. Der stellte gerade fest, dass er nicht länger Schulter an Schulter mit den anderen stand, da sie lautlos auf Distanz zu ihm gegangen waren. Ein rascher Blick bewies ihm, dass die meisten sich ohne Anteilnahme über die Gesichter rieben oder zu Boden schauten, wobei sie immer weiter zurückwichen. Einige jedoch beobachteten den Schlagabtausch mit Interesse, die Freude darüber, Zeuge einer Demütigung zu werden, funkelte unverhohlen in ihren Augen.
Ekel wallte in David hoch, als er sich wieder Mathol zuwandte. »Das war wohl eine Neuigkeit für dich, dass man im Bett Spaß haben kann - ansonsten hättest du dich kaum so daran aufgegeilt.«
Mathols Augen verengten sich zu Schlitzen, während er eine junge Frau, die ihm im Weg stand, mit einem groben Stoß zur Seite beförderte, ihr überraschtes Aufjaulen ignorierend.
Obwohl David wusste, was ihm blühte, wenn Mathol die letzte Distanz zwischen ihnen überbrückt hatte, ging er seinerseits auf ihn zu, die Muskeln in Armen und Rücken angespannt, die Hände zu Fäusten geballt. Auch wenn ihm beim Treppenaufstieg eben noch die Oberschenkel von der Erschöpfung der letzten Stunden geschmerzt hatten, jetzt fühlte er jene hitzige Energie durch seinen Körper strömen, die dem Wolf gehörte. So ungewohnt es sich auch anfühlen mochte, dieses Mal schlug David das Angebot des Dämons nicht aus. Zumindest seine Kraft würde er in Anspruch nehmen, um nicht sofort von Mathol
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