Wintermond
Wieder einmal beschlich David der Verdacht, als stimme Hagen hinter verschlossenen Türen ein schrilles, fast gebrochenes Lachen an, das nicht zu seinem dominanten Auftreten als Rudelführer passen wollte, aber unendlich furchterregender war. Etwas an dem Mann wies auf einen tiefen Sprung hin, den er mit aller Macht zu kaschieren versuchte.
Er ist kein echter Anführer eines Rudels, schoss es David unvermittelt durch den Kopf. Einen Moment lang befürchtete er, den Gedanken laut ausgesprochen zu haben. Doch der Einzige, der ihm einen aufmerksamen Blick zuwarf, war Nathanel. Einige Herzschläge lang befürchtete David, ertappt worden zu sein, doch da wandte sich der ältere Mann schon wieder von ihm ab. Ohne eine Regung im Gesicht sprach er leise zu dem vor sich hin fluchenden Mathol. Der gab ein zustimmendes Krächzen von sich, dann schritt er durch die erstarrte Menge und verschwand. Bevor er sich ebenfalls zum Gehen abwendete, nickte Nathanel David zu, der nach wie vor auf dem Boden kauerte. Erst da richtete er sich auf und bemühte sich, den Stoff seiner Kapuzenjacke über der Brust glattzustreichen. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass die Falte, an der er sich wie im Wahn abarbeitete, in Wirklichkeit ein Riss im Stoff war. Ein sichtbarer Beweis für Mathols Rage. Mit steifen Bewegungen zog er die Jacke aus und ließ sie einfach auf den Boden fallen.
Einen Augenblick später ging jemand neben David in die Hocke, so dass er instinktiv ein warnendes Knurren ausstieß. Aber es war nur Jannik, der sich nach der Jacke bückte. Er hängte sie über seinen Arm, dann schenkte er David ein verlegenes Lächeln. Die Angst stand dem jungen Mann noch deutlich ins Gesicht geschrieben, und David konnte eine Mischung aus Scham und Erregung an ihm riechen.
»Das war heftig«, sagte Jannik leise.
David nickte, während er auf seiner Unterlippe kaute, die blutig schmeckte, wie er verblüfft feststellte. Er sah Hagen mit verschlossener Miene durch das Rudel streifen, als wäre er ein natürlicher Bestandteil der Gruppe. Nur die Art, wie sie alle leicht zurückschreckten, erweckte den Eindruck, als wolle sich ein Raubtier unter eine Herde mischen.
Hastig versuchte David, diesen Gedanken zu verdrängen, und blinzelte angestrengt. Im selben Moment traf ihn Hagens Blick. Der hünenhafte Mann verzog seinen Mund zu einem Lächeln, und David glaubte etwas Verschlagenes darin zu entdecken, das ihn hart schlucken ließ. Hagen tauschte noch ein paar Sätze mit Nathanel aus, dann kam er auf David zu.
»Mir gefällt, was du da angeschleppt hast«, sagte Hagen und senkte das Kinn auf die Brust, so dass David ihm notgedrungen in die Augen sehen musste. Es dauerte etwas, bis ihm klarwurde, wovon Hagen sprach. Er hatte eine harsche Zurechtweisung wegen der gemeinsamen Stunden mit Meta oder wegen des Zweikampfes mit Mathol erwartet. Die namenlose Frau dagegen, die er letzte Nacht in das Palais gebracht hatte, hatte er völlig vergessen.
»Nathanel wollte das so«, erwiderte er und bemühte sich um ein ausdrucksloses Gesicht.
Hagens Lächeln blieb wie eingebrannt haften. »Amelia sagte mir schon, dass es dir schwerfällt, dich zu deiner Beute zu bekennen.«
»Man könnte meinen, dass es David leichter fällt, eine Frau zu bespringen, als sie zu erlegen. Ein guter Wolf sollte beides können.« Wie aufs Stichwort hatte sich Amelia zu ihnen gesellt und schmiegte sich an die Seite ihres Gefährten. Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, gefiel David noch weniger als ihre Worte. Amelia betrachtete ihn mit einer unverhohlenen Vorfreude, als wisse sie etwas, das ihm bislang entgangen war. Hilfesuchend wandte er sich zu Nathanel, aber der sah demonstrativ an ihm vorbei.
»David, warum kommst du nicht mit nach vorn? Was wir heute Nacht zu besprechen haben, könnte dich interessieren«, bot Hagen freundlich an, als habe Amelia die anzügliche Bemerkung niemals gemacht.
Kurz spielte David mit dem Gedanken, das Angebot höflich auszuschlagen und sich mit Jannik in die Nähe des Ausgangs zu stellen. Dann begriff er, dass es sich nicht um ein Angebot, sondern um einen Befehl handelte. Jannik, der dies deutlich schneller verstanden hatte, wich bereits zurück und schenkte ihm noch ein schiefes Lächeln.
Mit schlecht verborgenem Widerwillen folgte David dem Rudelführer zum großen Tisch, auf dem wie immer die Pelzdecke ausgebreitet lag. Hagen platzierte sich dahinter und stützte sich mit beiden Armen darauf ab.Amelia setzte sich mit
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