Wintermond
gewandelt war, nicht länger aufrechterhalten. Obwohl ihm seine Affäre mit Meta trotz der hämischen Blicke seines Rudels wie ein Geschenk vorkam, gefiel ihm das vitale Interesse seines Wolfes nicht im Geringsten.War es doch die Schuld dieses Dämons, dass er sein Leben nicht nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten konnte.
Als Hagen nun zu einer Begrüßung ansetzte, um die Zusammenkunft zu eröffnen, versuchte David mit aller Macht, das unterschwellige Knurren seines Wolfes zu überhören, das ihm in den Ohren dröhnte. Zumindest teilten sie ihre Abneigung gegenüber diesem Mann.
»Wir haben uns in der letzten Zeit selten versammelt, aber wir wissen alle, dass dies ein gutes Zeichen ist: Alles läuft bestens, unser Rudel gedeiht. Es gedeiht sogar so gut, dass wir einige neue Mitglieder in unserer Mitte begrüßen dürfen. Solche, die die Einsamkeit aufgegeben haben, nachdem sie unseren starken Ruf vernommen haben, und solche, die ihrem alten Rudel entwachsen waren.«
Bei diesen Worten ging ein kaum wahrnehmbares Raunen durch den Audienzsaal, in das David unbedacht mit einstimmte, obwohl er in der Nähe von Hagen stand. Doch er konnte sich dem geäußerten Missbehagen nicht entziehen. Gewiss war es immer wieder einmal vorgekommen, dass jemand von einem Rudel in ein anderes wechselte: verlorene Machtkämpfe, Liebesgeschichten … Aber die Neulinge, von denen die Rede war, wurden von dem Blutgeruch angezogen, der Hagen umgab wie ein dunkler Heiligenschein. Zwar standen sie inmitten ihres neuen Rudels, doch sie wirkten stets allein. Nicht, dass es ihnen etwas ausgemacht hätte, denn all ihre Blicke galten ohnehin nur Hagen, dem Gebieter über Tod und Leben in dieser Stadt voller Opfer. Nun, viele Menschen spürten die Anwesenheit des Dämons und verhielten sich entsprechend vorsichtig, wenn sie auf den Straßen unterwegs waren. Auch die modernen Zeiten voller Kameras, Handys und anderem elektronischen Zeug machten es nicht unbedingt einfacher. Man musste sich seine Beute besonnen aussuchen, wenn man keine Aufmerksamkeit erregen wollte. Und Hagen wusste, wie man an Opfer herankam, für die sich niemand interessierte. Welche Bündnisse man knüpfen musste, um Menschen in seine Gewalt zu bringen, deren Namen niemand kannte und die keine Spuren in der Stadt hinterließen.
Bei diesem Gedanken brach David der Schweiß aus. Vor seinem inneren Auge sah er die junge Frau, die in einem zerknitterten Kleid und wundgelaufenen Füßen irgendwo in der Zimmerflucht des Palais auf einer alten Matratze schlief. Zu wissen, dass es diese Frau gab, war der Preis, den er dafür zahlen musste,Teil eines Rudels zu sein. Schließlich hatte Convinius ihm das unentwegt eingebläut - auf eine Art und Weise, dass David immer noch die Spuren dieser Lehrstunden an seinem Leib trug. Wer Teil eines Rudels ist, akzeptiert das Jagen, das der Anführer als Stellvertreter für die Seinen übernimmt. Genau das tat Hagen, wenn er Namenlose als Lohn für seine Dienste forderte. Er jagte sie für das Rudel und riss die Beute, um zu erstarken, so dass kein feindliches Rudel auf die Idee verfiel, ein Kräftemessen zu wagen. Der Wolf war ein Dämon, ein Raubtier, dessen Instinkte befriedigt werden mussten - darin bestand die oberste Pflicht eines Anführers. Wer also das Jagen ablehnte, wählte zwangsläufig die Einsamkeit. Anders als Convinius hatte David die Einsamkeit nicht ertragen können.
Als wäre es Davids plötzlichen Schuldgefühlen gelungen, trotz Hagens überwältigender Präsenz zu Nathanel durchzudringen, warf dieser ihm einen nachdenklichen Blick zu. Hastig schaute David zu Boden.
Unterdessen kümmerte Hagen sich nicht weiter um das Murren des Rudels, sondern gestand ihm sogar einen gewissen Raum zu - ein Beweis seiner Macht. Sobald er nämlich wieder die Stimme erhob, wurde es schlagartig still.
»In einem Rudel kann man nichts lange geheim halten. Daher wissen wohl schon alle, dass wir die Grenzen unseres Reviers neu abstecken müssen. Dank unserer als blutig verschrienen Bräuche sind wir das mächtigste Rudel in dieser Stadt.« Während sich in Hagens Stimme ein erregter Ton schlich, gruben sich seine Finger in die Pelzdecke. »Die Stadt gehört uns, sie ist unser Revier.« Die absolute Überzeugung, die er ausstrahlte, griff auf das Rudel über und erfüllte den Saal mit einer knisternden Atmosphäre.
Dort, wo das Rudel besonders gedrängt stand, konnte David Hände beobachten, die plötzlich zur Seite ausscherten, um den
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