Wintermond
etwas. Und damit meine ich nicht das gute Stück zwischen seinen Beinen.«
Rahel lachte kurz trocken auf, wurde aber sofort wieder ernst. »Trotzdem willst du nicht, dass eure Beziehung sich weiterentwickelt. Woran liegt das? Ist er dir nicht fein genug, zu jung, zu ungebildet?«
Zuerst wollte Meta abwinken, aber dann besann sie sich eines Besseren. An den Gründen, die Rahel auflistete, war gewiss etwas dran. Sich mit David einzulassen - einmal vorausgesetzt, dass er daran überhaupt interessiert war -, würde ihr Leben auf den Kopf stellen. Karl träfe wahrscheinlich der Schlag, weil er über seinen Nachfolger so herzhaft lachen musste, und ihr Freundeskreis würde zuerst bestenfalls amüsiert reagieren. Wenn sich die Beziehung aber nicht als Ausrutscher, sondern als etwas Festes entpuppte, verlören sie alle sehr schnell den Humor. Ihre Mutter müsste schwer schlucken, vermutlich sehr schwer, ihr Vater würde ein genauso langes Gesicht machen wie bei Karl. Und Emma … weiß der Teufel, wie ihre Schwester auf David reagieren würde.Aber all diese Punkte nahmen sich nebensächlich aus, verglichen mit der Unergründlichkeit, die David umgab, und dem unwiderstehlichen Sog, mit dem es sie zu ihm hinzog. Es schien geradezu so, als wäre sie nicht länger ein vernunftbegabtes Wesen, sondern handle aus reinem Instinkt.
»Wenn ich mir vorstelle, an Davids Seite zu sein, dann wird mir bange.Auf den ersten Blick sieht alles nach einem zurückhaltenden Mann aus, der in bescheidenen Verhältnissen lebt«, dachte Meta laut nach. »Aber ich kann mir einfach nicht erklären, wie er mich nach unserer ersten Nacht wiedergefunden hat. Dass er so unvermittelt in der Galerie auftauchte, erscheint mir immer seltsamer. Und dann sind da noch all die Narben und neuen Verletzungen... Ich meine, was treibt er, dass er ständig verletzt ist?«
»Nach dem, was du erzählt hast, scheint David vom Typ her nicht gerade ein Schläger zu sein.Vermutlich gibt es eine ganz simple Erklärung, wie Kampfsport oder einen Job als Türsteher. Das könnte auch erklären, wie er dich gefunden hat. Hat sich einfach bei ein paar Kollegen umgehört.« Obgleich Rahels Worte vernünftig klangen, zog sie selbst die Stirn kraus. Vermutlich gingen ihr einige wesentlich unschönere Erklärungen durch den Kopf.
Einen Moment lang kämpfte Meta mit sich, ob sie ihre anderen Beobachtungen auch erwähnen sollte oder ob dies zu weit ginge.Aber wenn sie es Rahel nicht erzählen konnte, wer blieb dann noch? »Als wir uns vor dem Regen in Sicherheit gebracht haben, hat David die Haustür mit Gewalt geöffnet.«
Rahel nickte einmal bedächtig, um zu signalisieren, dass sie sich an diesen Part der Geschichte erinnerte.
In einem Anflug von Nervosität begann Meta, ihren heillos zerknitterten Rock glattzustreichen. »Das war eine ziemlich massive Tür, und es war ja nicht gerade so, dass David auf sie eingedroschen oder sie eingetreten hätte. Ein Schlag, und das Ding flog fast aus den Angeln.«
Mit einem Ruck richtete sich Rahel auf. Ihr Blick war so klar und nüchtern, als säße sie vor den Zahlenkolonnen im Büro. »Was willst du damit sagen?«, fragte sie heiser, so dass Meta unwillkürlich ein Stück zurückwich. »Beschreib mir ganz genau, was du gesehen hast.«
Meta zögerte, da sie Rahels plötzliche Heftigkeit erschreckte. Doch schließlich kam sie der Aufforderung nach. »Ich weiß, das klingt jetzt absurd, aber ich kann es einfach nicht besser beschreiben: Es war, als würde etwas aus Davids Hand hervortreten und seinen Schlag potenzieren. Etwas Dunkles, wie ein Schatten.«
Bei diesem Wort wurde Rahel leichenblass im Gesicht, während sie mit einer betont langsamen Geste das Weinglas auf den Tisch stellte. Mitten in der Bewegung hielt sie inne, dann glitt sie in die Polster zurück.Auf ihren Zügen hatte sich urplötzlich Traurigkeit ausgebreitet. »Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll«, tastete sich Rahel vorsichtig an Worte heran.
Meta wandte sich ab und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, um ihre bittere Miene zu verbergen. »Es tut mir leid, dass ich so einen Blödsinn erzähle. Macht ganz den Anschein, als ob mir jede faule Ausrede recht wäre, damit ich ohne schlechtes Gewissen einfach nur mit David ins Bett gehen kann.«
Als Rahel sich vorlehnte und nach Metas Hand griff, zuckte diese zurück, aber Rahel ließ sich nicht so leicht abweisen. »Ich glaube, dein Instinkt verrät dir, dass in David etwas Gefährliches steckt.
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