Wintermord
bewunderte, war ihr Zutrauen zu ihren Mitarbeitern, die Fähigkeit, Aufgaben und Verantwortung zu delegieren – ohne ständig zu kontrollieren, ob auch alles genauso geschah, wie sie es sich vorstellte.
Ann-Christine Östergren räusperte sich, und bevor sie das Wort ergriff, sah Tell, wie Karin Beckman zu Renée Gunnarsson blickte und leicht die Augenbrauen hochzog. Renée nahm an den Sitzungen teil, um Anrufe von Pressevertretern oder beunruhigten Bürgern beantworten zu können. Wie viel Information sie herausgeben durfte und welche Fragen an die Ermittler weitergeleitet werden sollten, lag in Christian Tells Ermessen.
Renée Gunnarsson erwiderte den Blick und verdrehte die Augen. Dieser stumme Austausch drehte sich wahrscheinlich um die Tatsache, dass Ann-Christine Östergren in der Tür stehen blieb, statt sich zu den anderen an den Tisch zu setzen. Tell nahm an, dass seine Chefin ihre Gründe dafür hatte, und ärgerte sich über das Verhalten der beiden Kolleginnen.
»Okay. Wie wir alle wissen, ist ein Mann, allen Anzeichen nach ermordet, an einer der Landstraßen zwischen Olofstorp und Hjällbo aufgefunden worden. Genauer gesagt bei Björsared. Ich sage ›allen Anzeichen nach‹, weil wir noch auf den Bericht des Gerichtsmediziners warten, aber da dem Opfer zweimal in den Kopf geschossen wurde, können wir davon ausgehen, dass das auch die Todesursache war. Er ist – wohl nachdem man ihn erschossen hatte – mehrmals von einem Fahrzeug überfahren worden. Wahrscheinlich einem Pkw.«
Sie nahm die Brille ab und hielt sie prüfend in die Höhe, bevor sie mit ihrem Ärmel einen Fleck vom Glas wischte. »Die Ortschaft fällt in den Zuständigkeitsbereich der Polizei Angered. Deren Chef hat versprochen, uns zu helfen, indem er uns Personal und Ortskenntnis zur Verfügung stellt. Leider haben die dort gerade alle Hände voll zu tun – mehrere Fälle von Brandstiftung und in den letzten Wochen einen wahren Einbruchsboom. Wir haben ausgemacht, dass sie einen Mann abstellen, sobald wir konkret Hilfe brauchen. Jetzt, am Anfang, werden wir bei den Routineaufgaben unterstützt: Befragung der Nachbarn, Suche nach ähnlichen Verbrechen, nach eventuellen Freigängern aus der Psychiatrie ... Ihr wisst schon.«
Sie nickte in Tells Richtung. »Ermittlungsleiter ist Christian Tell. Wir reden weiter bei der nächsten Teamsitzung am Montag. Tja, und hiermit überlasse ich dir das Wort.«
Sie setzte ihre Brille wieder auf und entfernte sich mit einem reservierten Lächeln. Zwar hätte er nicht sagen können, was genau es war, aber nun glaubte auch Tell eine untypische Geistesabwesenheit bei seiner Chefin bemerkt zu haben. Er fragte sich, ob in ihrem Privatleben etwas vorgefallen war, aber im Moment war kein Raum für Spekulationen, und Ann-Christine Östergren war niemand, den man geradeheraus auf so etwas hätte ansprechen können.
»Wir haben also ein Mordopfer, hingerichtet und überfahren. Laut Einwohnermeldeamt wohnen auf dem fraglichen Hof eine Lise-Lott Edell und ein Lars Waltz. Wir konnten die Frau bisher nicht erreichen. Das Haus ist leer, aber eine gründlichere Untersuchung wird uns hoffentlich Aufschluss darüber geben, wo sie sich aufhält und wie wir mit ihr Kontakt aufnehmen können. Karlberg, du fährst gleich nach unserer Besprechung mit mir raus. Übrigens sind auf Lise-Lott Edell zwei Unternehmen eingetragen, zum einen ein Textilgeschäft in Gråbo und dann Thomas Edells Kfz-Werkstatt und Schrotthandel.«
Ein Niesen von Karlberg ließ Bärneflod zusammenzucken, der zerstreut psychedelische Muster auf seinen karierten Block gemalt hatte. Karlberg sah gar nicht gut aus, stellte Tell fest. Karlbergs Nase leuchtete rot wie eine Leuchtbake und seine Augen waren von einem feinen Netz geröteter Äderchen durchzogen.
Karin Beckman fasste Tells Gedanken auf höchst undiplomatische Weise zusammen: »Verdammte Hacke, du siehst übel aus, Andreas. Solltest du nicht lieber im Bett liegen?«
Karlberg antwortete mit einem Achselzucken, das so gut wie alles bedeuten konnte. Er mummelte sich noch tiefer in seinen Fleecepulli und war dankbar, als Karin Beckman ihm ein Päckchen Taschentücher über den Tisch schob.
Tell nahm einen Schluck von seinem widerlich süßen Kaffee, bevor er weiter von seinem Blatt ablas: »Vorerst gehen wir davon aus, dass es sich bei dem Toten um Lars Waltz handelt. Aber wir haben keine Ausweispapiere gefunden, es könnte sich also auch um einen Angestellten handeln. Wir erwarten von
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