Winters Herz: Roman (German Edition)
korrigierte seinen Griff, legte eine Hand über die andere.
»Braver Junge. Sehr gut, Ben.«
Sally riss Jessica in ihre Arme und trug sie zu dem flach auf dem Boden liegenden Hexenstein. Zu dem Opferstein. Jessica schrie leise auf, aber sie wehrte sich nicht; es wäre ohnehin zwecklos gewesen, und sie war erschöpft, hilflos.
»So, jetzt reicht’s«, sagte Cass’ Vater, aber Remick hob eine Hand, und ihr Vater blieb wie angenagelt stehen.
»Cass«, sagte er ruhig. »Ich brauche dich, um Jessica festzuhalten.«
Sie schüttelte entsetzt den Kopf, trat aber trotzdem wie von einem fremden Willen gesteuert vor. Sie war in ihrem Körper gefangen und beobachtete alles, was sie tat, wie aus einiger Entfernung.
Remick ließ einen tadelnden Zischlaut hören. »Freiwilligkeit ist mir natürlich lieber, Cass, aber ich bin nicht darauf angewiesen . Und jetzt halte sie fest!«
Cass wollte sich umdrehen, ihren Vater und Pete ansehen, aber das konnte sie so wenig, wie sie ihre Namen rufen konnte. Ihre Muskeln bewegten sich, zogen sich zusammen und streckten sich, und sie trat einen Schritt auf den Stein zu. Er könnte Jess selbst festhalten, dachte sie, wahrscheinlich tut er’s sogar. Er braucht mich nicht.
O h, aber Ben braucht dich. Sie glaubte nicht, dass Remick laut gesprochen hatte, aber sie hörte seine Worte dennoch deutlich. Und du wünschst dir so sehr, das für mich zu tun, liebe Cassandra.
Cass ging wie willenlos um den Opferstein herum, sodass sie Remick jetzt gegenüberstand. Seitlich hinter ihm konnte sie ihren Vater sehen, der mitten in der Bewegung erstarrt war. Auch Pete, noch immer mit verwirrtem Gesichtsausdruck, konnte sich keinen Millimeter von der Stelle bewegen; allein seine Augen folgten Cass, als sie nun in die Hocke ging und ihre Hände auf Jessicas Körper legte.
Sie dachte an die tote Mutter des Mädchens, die halb im Schnee vergraben diese Szene aus ihrem eisigen Gefängnis heraus beobachten musste. Als sie diesen Gedanken verdrängte, fiel ihr der arme Captain ein, und sie erinnerte sich an die hochgezogenen Lefzen über seinen gefletschten Zähnen. Er hatte noch gelebt , hatte gelitten, als sie ihm den Bauch aufgeschlitzt hatten, sodass seine Eingeweide herausgequollen waren.
Cass wollte die Augen schließen, aber sie öffneten sich aus eigenem Antrieb wieder.
Sieh’s dir an, sagte Remicks Stimme in ihrem Ohr. Spüre es. Schmecke es.
Einen Augenblick lang schmeckte sie ihn: den salzigen Geschmack seines Schweißes auf ihrer Zunge; die Glitschigkeit seiner Haut.
Sie hielt Jessica fest, fühlte die zarten Knochen der Kleinen unter ihrer Daunenjacke, ihre Haut und ihr Fleisch; spürte fast, wie das heiße Blut durch ihre Adern gepumpt wurde. Während das Herz jagte, als könne es vor dem Kommenden davongaloppieren. Cass’ Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt, die fast ein Lächeln war. Sie hob den Kopf, bis sie ihren Sohn ansehen konnte. Sie machte ihm ein Zeichen, nickte kurz. Jetzt .
Ben änderte den Griff um das Messer, hielt es nun dicht an seine Brust gedrückt. Er sah seine Mutter an, als erwarte er Anweisungen von ihr. Sie versuchte den Kopf zu schütteln, aber es gelang ihr nicht.
»Nun?«, fragte Remick. Cass sah sich nach ihm um, aber er achtete nicht auf sie. Er behielt ihren Vater im Auge.
»Schluss jetzt«, sagte ihr Vater. »Aufhören. Schluss damit!«
Cass merkte, dass sie die Arme wieder bewegen konnte. Sie riss sich von Jess los und streckte eine Hand aus, um ihren Sohn aufzuhalten, obwohl er sich nicht bewegt, nicht näher an den Stein herangetreten war.
Remick griff in seine Jacke und zog etwas Schwarzes heraus, das in seinen Händen aufklappte. Es war ein Buch. Cass erkannte es natürlich wieder, obwohl es kleiner war als zuvor. Der Umschlag bestand aus Saffianleder, die Seiten waren leicht vergilbt. Ein schwarzes Buch. Das Buch, das ihr Vater vor ihren Augen verbrannt hatte. Sie glaubte, feine Rußflocken aufsteigen zu sehen, als er in dem Buch, dessen Seiten er fast verächtlich umblätterte, eine bestimmte Stelle suchte. »Hier«, sagt er zuletzt, »hier müssen Sie unterschreiben. Dann gebe ich Ihre Tochter frei.«
»Und Ben.«
Remick verdrehte die Augen. »Wie oft soll ich das noch erklären? Ben ist längst frei. Alles freiwillig, nicht wahr, Ben?« Er blinzelte ihm zu. »Er wird sich eines Tages selbst entscheiden, wenn er so weit ist. Gebe ich auch Ihre Tochter frei, kann sie sich natürlich seiner annehmen und versuchen, ihn mir abspenstig zu
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