Winters Herz: Roman (German Edition)
eine weitere kleine Gestalt auf. Bens Gesicht war verkniffen, seine Augen glänzten unnatürlich. Er hielt etwas in den Händen.
»Für uns ist sie ein Problem, weißt du.«
Cass beugte sich zu ihrem Sohn hinunter, zog ihn an sich,aber er reagierte nicht darauf. »Wir gehen nach Hause, Ben«, sagte Cass nachdrücklich. Ihr Blick streifte Jessica. Sie durfte das Mädchen nicht hier bei Remick zurücklassen – wer wusste schon, was er ihr antun mochte. Er würde ihr bereits alle möglichen Lügen erzählt haben.
Ihr Vater trat vor, sodass er zwischen Remick und ihnen stand, aber es war Petes Stimme, die in der stillen Luft zu hören war. »Sie waren bei uns«, wiederholte er in noch immer ungläubigem Tonfall. »Sie waren da – allerdings haben Sie behauptet, Ihr Name sei Jackson. Sie haben gern nachts im Dunkeln gesessen. Sie haben gesagt, Sie würden die Wache übernehmen, um zu beobachten, wie der Himmel brennt.«
Remick sprach. »Ich denke, du solltest Abstand von dem Jungen halten, Cass – zu deiner eigenen Sicherheit.«
Sie sah zu ihm hinüber, hielt Ben jedoch weiter umarmt.
»Wie schon gesagt stellt die kleine Jessica, so süß sie auch ist, ein gewisses Problem dar. Gewissermaßen eine unerledigte Kleinigkeit. Natürlich suchen Leute nach ihr. Sogar in Gedanken, hmmm, Cass? Ich will mir nicht die Mühe machen, sie ständig abzuwimmeln. Und ich bin mir sicher, dass sie lieber bei ihrer Mami wäre.«
Cass zuckte zusammen, aber Jessica rührte sich nicht. Nur ein Mundwinkel zuckte, als sei sie kurz davor, in Tränen auszubrechen.
»Ben dagegen erweist sich als gelehriger Jünger. Hier dreht sich alles um Freiwilligkeit, musst du wissen, Cass. Wir sind alle nichts, wenn wir nicht frei sind. Darin liegt Schönheit, nicht wahr? Du hast sie gespürt, Cass. Nichts übertrifft die Freiheit, seinen ganzen Besitz – sein ganzes Sein – in die Hände eines anderen zu legen.«
Cass schloss die Augen, spürte Remicks Atem auf ihrem Gesicht und fuhr zurück.
Remick lächelte. »Wie schön du bist. Das weiß auch Ben,nicht wahr, mein Sohn? Und er hat mir versprochen, etwas zu tun. Zeig’s ihr, Ben. Zeig deiner Mami, wozu du hergekommen bist.«
Ben trat von einem Fuß auf den anderen, starrte zu Boden.
»Ben!« Remicks Stimme klang befehlend; sie durchzuckte Cass wie ein Stromstoß, der durch ihren Körper lief und dann in die Erde abgeleitet wurde. Die Umstehenden fuhren zusammen.
Remick sprach weiter. Seine Stimme klang nun beruhigend, aber zugleich unnachgiebig fest. »Denk daran, was ich gesagt habe, Ben.«
Sally drehte sich um und packte Jessica an den Schultern. Ihre Hände gruben sich in die Daunenjacke des Kindes.
»Es ist Zeit, Ben!«, sagte Remick. »Ich dürste. Ich hungere.«
Ben öffnete die Hände und ließ das darin verborgene Ding sehen. Es leuchtete weiß, dann mattgrau und wurde wieder weiß, als er es drehte. Cass wollte danach greifen, aber Sally war schneller, packte ihren Arm und blockierte sie mit ihrem Körper.
Ben starrte das Messer in seiner Hand an. Sein Blick war ausdruckslos.
»Ben, untersteh dich! Leg das weg.« Cass stellte sich breitbeinig hin, versuchte Sally wegzuschubsen, aber Remicks Hand lag auf ihrer Schulter. Er hielt sie nicht zurück, doch sie erstarrte trotzdem. Er streichelte ihr Haar, als sei sie ein Schoßtier.
»Das ist in Ordnung«, sagte er, und seine Stimme war wie eine Erlösung. »Es muss sein. Du bist jetzt eine von uns, Cass. Stell dich nicht gegen uns.« Er brachte sein Gesicht so nahe an sie heran, dass sein Atem ihren Hals wärmte. »Wir lieben dich. Wir wissen, wer du bist, Cass. Du bist keine gute Mutter, aber wir nehmen ihn dir nicht weg. Wir machen dir niemals Vorwürfe. Stattdessen unterstützen und helfen und lieben wir dich, machen dich besser, als du bist.«
Sally drehte sich beglückt lächelnd um. Sie strahlte Cass an.
Remick senkte die Stimme, während er auf Pete deutete. »Er wird dir Ben wegnehmen. Weshalb, glaubst du, habe ich dich vor ihm in Schutz genommen, Cass? Er wird dich zerbrechen, dich vernichten.« Seine Stimme wurde tiefer, ähnelte der ihres Vaters. »Du wirst vor seinem Blick nicht bestehen. Lass nicht zu, dass er dich verletzt, Cass. Er war niemals gut für dich. Ich bin gut für dich – gut für euch beide.« Er streckte die Hand aus, berührte Bens Jacke mit den Fingerspitzen. »Komm, es ist Zeit.«
Ben hob das Messer, das er wie einen Kugelschreiber in der Hand hielt. Er sah zu Remick hinüber,
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