Winters Herz: Roman (German Edition)
weit spreizte, als wolle er den blauen Himmel herunterreißen. Das Buch fiel in den Schnee, und Cass’ Vater blinzelte, während sein Blick wieder klar wurde. Er betrachtete das Messer in seiner Hand, dann sah er zu Pete hinüber, der auf Remick hockte und wütend auf ihn eindrosch.
Cass hörte etwas, ein langes, träges Knirschen, und hielt den Atem an, während sie sich aufrappelte. Remick holte seinerseits aus und verpasste Pete einen Kinnhaken. Obwohl dieser Schlag nicht sehr kraftvoll wirkte, flog Petes Kopf nach hinten.
»Pete …!«, rief Cass. Sie wusste selbst nicht, ob sie ihn warnen oder auffordern wollte, von Remick abzulassen.
Ihr Vater wollte zu den beiden, rutschte jedoch aus und fiel auf die Knie. Diesmal ächzte das Eis nicht nur, sondern ließ ein scharfes splitterndes Krachen hören.
Remick hob einen Arm und stieß Pete von sich weg. Als er auf die Beine zu kommen versuchte, streifte er mit seiner fuchtelnden Hand eine der mit Schnee bedeckten Gestalten. Er krallte sich daran fest, wobei ein graues Schädeldach mit noch anhaftenden Haaren sichtbar wurde.
Er richtete sich auf und lächelte wieder, als er die blutige Hand an seiner Jacke abwischte und sich Pete zuwandte, der wie gebannt auf den Leichnam unter dem Schnee starrte.
Remicks Lippen bildeten ein Wort; er hob eine Hand, aber bevor er sprechen konnte, rammte Cass’ Vater ihn seitlich, sodass Remick gegen eine weitere der schneebedeckten Gestalten torkelte, die zerplatzte und rosagraue Fleischbrocken über dem gefrorenen Boden verstreute.
Das Eis ächzte abermals, ein lautes, schmerzliches Geräusch, das von überall her zu kommen schien. Dabei war wieder ein deutliches Knacken zu hören.
Remick sah zu Cass hinüber. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das nur für sie bestimmt war. Jetzt bückte er sich, hob etwas aus dem Schnee auf – ein gefrorenes Stück Eingeweide –, führte es an die Lippen und leckte daran. Sein Blick leuchtete ekstatisch.
Cass’ Vater tauchte mit dem Messer in der Hand hinter Remick auf, dann stürzte Pete sich auf beide, und sie gingen in einem wüsten Knäuel zu Boden.
Das Eis bebte, und diesmal spürte Cass sein krampfartiges Erzittern. Sie sah ihren Vater stehen, die Beine gespreizt, die Hände ausgestreckt. Irgendwie hatte er’s geschafft, das Messer nicht zu verlieren. Er achtete jedoch nicht auf Remick; er starrte auf das Eis unter seinen Füßen. Im nächsten Augenblick waren alle drei Männer verschwunden.
Cass sah, wie das Eis ihren Vater verschlang: Er wirkte nicht ängstlich, erwiderte stattdessen ihren Blick mit Augen, die alles sahen.
Sallys gellender Schrei zerriss die Luft, und Cass rannte zu dem Loch im Eis. Sie glaubte, ertrinken zu müssen, als fülle ihre Lunge sich mit Schnee. Sie musste ihren Vater erreichen; er war ihm Begriff gewesen, sie zu retten, und hatte alles aufgeben wollen, was ihm teuer war, um sie zu befreien.
Sie warf sich aufs Eis, rutschte auf dem Bauch liegend an das gezackte Loch heran und bemühte sich verzweifelt, mit den Händen auf der glitschigen Oberfläche Halt zu finden. Sie grub tiefer, spürte ihre Fingernägel am Eis abbrechen und hielt abrupt inne. Ihr Haar hing über dem dunklen Wasser, in dem etwas an die Oberfläche zu steigen schien. Sie schrie auf, als sie sah, dass dies ihr eigenes Spiegelbild war, das auf dem See erschien, als die Wellen sich allmählich verliefen.
Sie starrte ins Wasser und streckte eine Hand danach aus, ohne es zu berühren. Alle drei waren in ihren Gedanken: ihr Vater, Pete, Remick, und sie wusste nicht, nach wem sie die Handausstreckte, sondern nur, dass sie verschwunden waren und dass irgendwo hinter ihr Ben weinte.
Das Eis unter ihr vibrierte, als habe jemand mit der flachen Hand draufgeschlagen.
Die Wasseroberfläche begann zu brodeln, und eine bleiche Gestalt durchbrach sie – wie eine Eruption, wie eine Geburt. Eiswasser spritzte Cass ins Gesicht, aber diesmal wich sie nicht zurück. Im Wasser trieb etwas Totes; sie erkannte die aufgedunsene Gestalt Mrs. Cambreys, ihre betend gefalteten Hände. Aus den Höhlen quellende Augen starrten Cass an.
Weitere Gestalten, deren Glieder von Eis und Zeit steif waren, kamen an die Oberfläche. Sie wogten, und das Wasser brodelte, als etwas sie beiseiteschob – etwas mit Händen, die nach oben krallten und um sich schlugen. Aus dem See tauchte ein Kopf auf. Cass konnte nicht gleich erkennen, wem er gehörte. Das würde Remick sein; sie wusste, dass
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