Winters Herz: Roman (German Edition)
wichtig.
Pete gab Gas, fuhr wieder auf die Straße hinaus. Bald würden sie an einem anderen Ort, in einer anderen Kleinstadt leben. Ben würde neue Freunde finden, mit denen er spielen konnte. Er würde alles vergessen. Vielleicht sollte er das tun.
Oder vielleicht sollte Cass dafür sorgen, dass ihr Sohn sich erinnerte, damit er bereit war, falls Remick jemals zurückkehrte. Sie sah zu Pete hinüber. Im Profil wirkte sein Gesicht energisch, aber er hatte noch immer diese Traurigkeit im Blick. Und daran war sie schuld.
Aber sie konnte nicht an ihn denken; sie konnte nur an Ben und sich denken.
Pete wandte sich ihr zu, und sein Blick verdüsterte sich. Cass rang sich ein Lächeln ab. Er durfte nicht wissen, was sie dachte. Sonst würde er vielleicht versuchen, ihre Pläne zu durchkreuzen.
Er wird dir Ben wegnehmen.
Cass wusste, dass er das nicht konnte; was auch immer geschah, sie würden wieder eine Familie sein. Sie strich ihr Top über dem Bauch glatt, schob den Sicherheitsgurt etwas zur Seite und dachte nach: über sich und Pete, Ben auf dem Rücksitz und all ihr Gepäck, das sie eilig zusammengerafft übers Moor transportierten – wieder dorthin, wo es hergekommen war. Und sie dachte an das Ding, das in der Reisetasche lag, die sie vorsichtig auf die Koffer gestellt hatte. Das Ding, das sie nach ihrer Rückkehr in der Foxdene Mill gefunden hatte.
Pete hatte unter der Dusche gestanden, um sich aufzuwärmen. Ben hatte seine Sachen zusammengepackt. Deshalb war Cass allein gewesen, als sie ihr Zimmer betrat und es auf ihrem Bett liegen sah. Sie ging darauf zu, ohne Licht zu machen, und griff danach.
Es war eine Puppe, aber sie war nicht angenagt oder schmutzig und entstellt, wie es die anderen gewesen waren; dies war eine neue Puppe aus hellem Baumwollstoff und mit Haar aus sauberer gelber Wolle. Ihre Augen waren Knöpfe in klarem Himmelblau. Ihr lockeres Kleid war klein geblümt; es war an den Schultern mit Clips befestigt und reichte bis zu den Knien. In der Körpermitte wölbte es sich sanft, aber markant nach außen.
Cass ließ eine Fingerspitze über die Wölbung gleiten, fühlte die darin konzentrierte Wärme. Sie brauchte das Kleid nicht hochzustreifen, um das darunter ruhende blaugraue Ei zu sehen.
Diesmal warf sie es nicht weg oder zerschlug es. Stattdessen packte sie eine Reisetasche mit ihren weichsten, wärmsten Kleidungsstücken und legte die Puppe darauf. Sie sah zu, wie dasGepäck im Wagen verstaut wurde, trug die Tasche selbst hinunter, eine kostbare Last, und stellte sie behutsam oben auf die Koffer, damit sie sicher reisen konnte.
Sie gehörte ihr, und niemand konnte sie ihr wegnehmen; nicht Pete, nicht Remick.
Cass zweifelte nicht daran, dass Remick eines Tages zu ihr zurückkommen würde – mit einem Lächeln auf seinen Lippen, die grausam und doch so süß waren. Seine Hände, die alle ihre Kurven kannten, zu einer Willkommensgeste ausgebreitet; seine Finger, die genau wussten, wie sie berührt werden wollte. Ihre Haut erwärmte sich bei dem Gedanken an ihn. Sie fühlte sich nicht mehr abgestoßen: Sie gehörte ihm, und darin lag eine gewisse Freiheit.
Cass erbebte leicht, setzte sich etwas auf und lächelte, als Pete flüchtig zu ihr hinübersah, sein Blick so verletzt und dumm.
Sie könnte gegen Remick kämpfen. Dieses Kind war ein Geschenk, etwas, das sie als Druckmittel verwenden könnte, um ihre Seele zurückzukaufen, falls das möglich war. Remick würde kommen, um Cass zu finden, nur um zu entdecken, dass Gloria auf ihn wartete.
Mattigkeit überkam sie. Doch ein Kind ist kein Tauschobjekt, dachte sie. Ein Vater ist kein Opfer. Man kann immer nur sich selbst verschenken. Sie gehörte ihm. Das wusste Cass jetzt, konnte es in sich aufsteigen fühlen, und sie erkannte, dass es für sie kein Zurück mehr geben würde. Ihr Körper sehnte sich noch immer nach ihm, würde niemals mehr wie früher auf diesen Fremden reagieren, der neben ihr saß.
Remick hatte Pete gefragt, ob er sich darauf verlassen könne, dass sie ihren Sohn zuverlässig versorgte. Und das konnte er, nur nicht so, wie er dachte, oder wie Cass’ Vater vor ihm gedacht hatte. Niemand konnte auf ewig versorgt werden; irgendwann würde der Zeitpunkt kommen, an dem sich jeder entscheiden musste.
Cass würde Ben einfach helfen müssen, die richtige Entscheidung zu treffen, damit er bereit war, wenn das Oberhaupt der Familie heimkehrte. Denn heimkehren würde Remick eines Tages.
Und sie würden zusammen
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