Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
angemessen, mit einem Namen, aber herrenlos zu sterben.«
Croesan seufzte. Seine Lippen zitterten, und die Stimme versagte ihm einen Augenblick lang.
»Also gut«, meinte er dann bewegt. »Notwendig ist es nicht, da dem Kind kein Leid geschehen wird, aber wenn die Eltern es wünschen … Athol, nehmt den Blutseid meines Enkels von seinem Stellvertreter Naradin entgegen!«
»Legt das Kind auf den Boden, Titelerbe, und kniet neben ihm nieder!«, verlangte Athol.
Naradin kam der Aufforderung des Obersten Protokollbeamten nach. Das Laken hob sich strahlend weiß gegen den tiefroten Teppich ab. Der Than presste die Lippen aufeinander und wandte sich ab, um seine Gefühle zu verbergen. Das Kind brabbelte vor sich hin und griff mit den winzigen Händen in die Luft, als wolle es unsichtbare Staubkörnchen fangen.
Athol trat vor und postierte sich zwischen dem Than und Naradin. Er sprach mit tiefer, ruhiger Stimme.
»Im Namen der einstigen Thane Sirian und Powll, Anvar, Gahan und Tavan, des jetzigen Thans Croesan oc Lannis-Haig, und aller künftigen Thane fordere ich die Anwesenden auf, den Blutseid zu bezeugen. Ich bin Than und Geschlecht, Vergangenheit und Zukunft, und dieses Leben ist für immer mit dem meinen verbunden. So höret denn die Worte!«
Er streckte Naradin eine Hand mit gespreizten Fingern entgegen. »Habt Ihr die Klinge?« Wortlos zog Naradin aus einer Scheide am Gürtel ein kurzes, breites Messer mit einem geschnitzten Hirschhorngriff. Er legte es mit dem Heft voraus in die Hand des Protokollbeamten. Athol hielt das Messer hoch und sah es prüfend an.
»Die Klinge ist frisch geschmiedet und unbenetzt von Blut?«, fragte er. Naradin bestätigte feierlich, dass es so sei.
»Mit welchem Recht sprecht Ihr für den Knaben?«
»Er ist mein Sohn«, erwiderte Naradin.
»Dann sei es gebilligt.« Athol ließ sich auf einem Knie neben dem Kleinen nieder und hielt die Messerspitze an sein rundliches Ärmchen.
»Willst du diesen Eid mit deinem Blut besiegeln?«, fragte der Protokollbeamte.
»Ja, ich will«, entgegnete Naradin für das Kind.
»Mit diesem Eid ist dein Leben für immer mit dem meinen verbunden«, sprach der Protokollbeamte. »Das Wort des Thans von Lannis-Haig sei dir Gesetz und Befehl wie das Wort, das ein Vater an sein Kind richtet. Dein Leben gehört von nun an dem Haus Lannis-Haig.«
Er ritzte die Haut des Säuglings mit dem Messer. Ein Blutstropfen quoll hervor. Klein-Croesan verzog erstaunt und beleidigt das Gesicht. Er gab ein schwaches Röcheln von sich, das in Weinen überzugehen drohte. Athol fing ein wenig von dem Blut mit der Spitze des Schwurmessers auf und verrieb es mit dem Daumen auf der Klinge.
»Gelobst du dem Haus Lannis-Haig ewige Treue?«, fragte Athol, und Naradin bejahte leise.
»Beugst du dein Knie vor dem Than, der das Haus Lannis-Haig vertritt?«
»Ja«, sagte Naradin.
»Möge niemand zwischen dich und diesen Eid treten«, fuhr Athol ernst fort, »denn dieser Eid steht über allen anderen Treuegelöbnissen. Das Haus soll dir Halt und Stütze sein, und du sollst dem Haus Halt und Stütze sein. Sprich nun den Eid!«
Naradin holte tief Luft: »Ich spreche im Namen von Croesan nan Lannis-Haig, Sohn von Naradin und Eilan. Mit meinem Blut verpfände ich mein Leben dem Haus Lannis-Haig. Das Wort des Thans soll mir Gesetz und Befehl sein. Es ist die Wurzel und die Stütze meines Lebens. Der Feind des Hauses ist mein Feind, und mein Feind ist der Feind des Hauses. Bis hin zum Tod.«
Athol beugte sich vor und legte das blutbefleckte Messer auf die nackte Brust des Säuglings.
»Bis hin zum Tod«, wiederholte er und wandte sich ab.
Naradin hob das Kind auf. Es hatte zu weinen begonnen. Eilan kam und verband den winzigen Schnitt. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie es auf die Stirn küsste. Dann nahm der Than seinen Enkel in die Arme. Er blickte auf das unglückliche Gesichtchen des wimmernden Kleinen hinab.
»Sch, sch«, wisperte der Than. »Das Haus soll dir Halt und Stütze sein, Klein-Croesan. Das Haus soll dir Halt und Stütze sein.«
Die Worte kamen aus tiefstem Herzen, obwohl er wusste, dass sie nur ein Teil des Handels waren. Das Haus konnte nichts für die Tochter seines Bruders tun, die irgendwo in dieser von Sirian erbauten Stadt eingekerkert war. Er selbst hatte die zusammengeknüllte Botschaft der Belagerer über eine Lampenflamme gehalten und beobachtet, wie Anyaras Leben in seiner Hand verbrannte. Er hatte keine andere Wahl – so wie er keine
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