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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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streichen. Die Zeit war vorbei, da sie irgendjemanden darüber hinwegtäuschen konnte, dass sie ungepflegt, hungrig und durchfroren war.
    »Ein vornehmer Gast in diesen schlichten Mauern«, sagte Wain.
    »Was wollt Ihr?«
    »So kratzbürstig? Kann es sein, dass Ihr mit Eurer Bleibe unzufrieden seid?« Wain nahm Anyaras Hand und besah sich eingehend das schmale Gelenk und die Finger.
    »Ihr seid ein verweichlichtes kleines Ding«, meinte sie dann. »Ihr würdet keinen einzigen Winter im Norden durchstehen. Ebenso wenig wie die Männer Eures Hauses, die sich so leicht besiegen lassen.«
    Anyara befreite sich mit einem Ruck aus Wains Griff und funkelte sie wütend an.
    »Noch sind wir nicht geschlagen. Croesan wird nicht ruhen, bis er Euren und Kanins Kopf hat.«
    Wain lachte und wickelte die Goldkette, die ihren Hals schmückte, um die Finger.
    »Wartet ab! Am Tag meiner Geburt trug der Verhüllte Gott die Geschichte meines Lebens in sein Buch ein. Seit damals ist mein Ende vorherbestimmt. Meine Füße folgen dem Schwarzen Pfad und werden ihn nicht verlassen, selbst wenn das Euer sehnlichster Wunsch wäre. Außerdem dürfte für diese Zeit und diesen Ort eher Euer Tod als der meine verzeichnet sein. Ich kam, um Euch zu sagen, dass wir Nachrichtenpfeile über die Festungsmauern schossen. Wir übermittelten Eurem Onkel die Botschaft, dass Ihr Euch in unserer Hand befindet und wir Euch bei lebendigem Leib die Haut abziehen werden, wenn er sich nicht zu Verhandlungen bereit findet.« Sie legte eine Pause ein, als warte sie auf Anyaras Reaktion. Als diese ausblieb, fuhr sie fort: »Was denkt Ihr? Wie verweichlicht sind die Männer des Hauses Lannis-Haig wirklich?«
    »Überhaupt nicht.« Anyara hoffte, dass ihre Stimme nichts von der Furcht verriet, die sie empfand. Sie hatte gewusst, dass es so kommen könnte – warum sonst hätte man sie am Leben gelassen, wenn nicht für ein solches Spiel? –, aber bis jetzt war es ihr fast gelungen, diesen Gedanken zu verdrängen. Hoffnung gibt es immer, sagte sie sich mit wenig Überzeugungskraft vor. Nur die Anhänger des Schwarzen Pfads glaubten, dass Ereignisse unausweichlich den einmal vorgegebenen Verlauf nehmen mussten.
    »Nun, vielleicht habt Ihr recht«, meinte Wain. »Das wäre Pech für Euch. Zu Eurem Trost sei gesagt, dass Croesan Euch in das Dunkel folgen wird. Lange hält Euer tapferer Than in seiner Burg nicht durch. Das Land hier wird bald wieder in unserem Besitz sein.«
    »Es war nie in Eurem Besitz, sondern in der Hand des Gyre-Geschlechts. So viel ich weiß, bestand das Haus Horin ursprünglich aus einer Bande von Raufbolden, die von Glasbridge in den Norden fliehen musste. Gyre gehörte wenigstens zu den wahren Than-Geschlechtern, auch wenn ihr der Titel später aberkannt wurde …«
    Wain tat unvermittelt einen Schritt nach vorn. Anyara, die einen Hieb erwartete, wich zurück. Wain ballte die Rechte zur Faust und betrachtete ihre Finger, als überlege sie, welchen Schaden die schweren Ringe anrichten könnten. Dann schien sie es sich anders zu überlegen. Sie lachte und drehte nachdenklich einen der Ringe.
    »Immer noch eine Spur von Widerspruchsgeist«, sagte sie. »Ja, es stimmt. Ragnor oc Gyre wird hier herrschen, aber er erhält den Thron von meinem Haus, von meinem Bruder zurück. Andererseits ist ein Thron nur das Mittel, nicht das Ziel. Warum wollt Ihr das nicht begreifen? Wir übernehmen die Herrschaft hier nur, um das Licht des wahren Glaubens zu verbreiten. Sobald dieses Licht in alle Herzen scheint, werden die Götter zurückkehren.«
    »Ihr lasst Euch von Eurer Begeisterung mitreißen. Solange Anduran steht, kommt Ihr keinen Schritt voran. Und auch Tanwrye kann noch nicht gefallen sein.« Anyara las in Wains Augen, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag – und dass es gefährlich für sie werden konnte, wenn sie auf diesem Standpunkt beharrte.
    »Diese Zuversicht!« Wain lächelte. »Dieser Hochmut! Selbst die stärksten Wälle werden einstürzen, wenn es so geschrieben steht! Glaubt Ihr, dass Euer inständiges Hoffen, Euer unermüdliches Streben in dieser verlorenen Welt etwas auszurichten vermag, wenn die Wogen der Vorsehung über Euch hinwegrollen? Eben diesen Stolz müssen wir ablegen, um die Götter zur Rückkehr zu bewegen. Der Schwarze Pfad lehrt uns Demut. Hätten unsere Vorfahren mehr davon besessen, wären die Götter nie fortgegangen.«
    Sie kam erneut näher, und Anyara wich bis an die Wand zurück. Wain packte sie an den Armen und

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