Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
nur: »Zu den Waffen! Zu den Waffen!«
Krieger und Bauern, Gardesoldaten und Bürger rafften an Waffen zusammen, was sie finden konnten, und stiegen eilends zu den Wehrgängen hinauf. Sie waren hungrig, und sie froren. Sie waren erschöpft, denn das ständige Dröhnen der Katapulte hatte ihnen den Schlaf geraubt. Aber sie bemannten die Wälle und schworen, dass sie dem Schwarzen Pfad eine blutige Lehrstunde erteilen wollten.
Croesan und Naradin, Than und Titelerbe, standen gemeinsam auf den Zinnen des Torhauses. Sie riskierten nur einen kurzen Blick auf die düstere Szene jenseits der Festung.
»Sie verlieren die Geduld«, murmelte Naradin. »Das ist bedauerlich.«
Croesan seufzte. Er trug ein blank poliertes Kettenhemd; ein silbrig schimmernder Schild hing an seinem Arm.
»Wir werden es ihnen nicht leicht machen«, erklärte der Than.
Naradin wandte sich um und ließ die Blicke über den Innenhof der Burg schweifen. Die meisten hölzernen Nebengebäude um den Bergfried – Ställe, Hufschmiede, Heuschober – waren zerstört, ausgebrannt durch die Flammengeschosse, die im Lauf der Nacht ihren Weg über den Wall gefunden hatten. Eben jetzt wurde ein neues Feuer entfacht – ein Scheiterhaufen, auf dem man die Leichen der Krieger und Pferde gestapelt hatte, zusammen mit den abgeschlagenen Köpfe, die von den Katapulten in die Festung geschleudert worden waren. Der Bergfried selbst hatte standgehalten, auch wenn er die Spuren mehrerer Einschläge trug. In einem der oberen Stockwerke war nachts ein Brand ausgebrochen, aber man hatte ihn rasch gelöscht. Naradins Blicke wanderten weiter zu den Wehrgängen links und rechts vom Torhaus. Mehr als die Hälfte der Verteidiger waren keine Krieger, sondern erschöpfte, ängstliche Bürger, die sich in die Burg geflüchtet hatten und nun zu den Waffen greifen mussten, ob sie wollten oder nicht.
»Zweihundert geübte Speerkämpfer, und wir wären unbezwingbar«, murmelte der Titelerbe nachdenklich.
»Aber leider haben wir die nicht«, entgegnete Croesan mit fester Stimme. »Deshalb müssen wir uns auf den Mut derer verlassen, die uns zur Verfügung stehen. Falls wir untergehen, werden andere uns rächen: Lheanor. Kennet, wenn er noch am Leben ist. Taim Narran. Zunächst jedoch wollen wir alles tun, um den Feind selbst zu besiegen. Noch ist unser Geschlecht am Leben.«
Naradin nickte.
»Begib dich zum Wohnturm!«, befahl Croesan. »Warte dort mit deiner Schildwache und allen sonstigen Kämpfern, die du auftreiben kannst. Sorg dafür, dass Eilan und deinem Kind nichts zustößt. Den Hof und die Wälle übernehme ich. Wir treffen uns wieder, wenn alles vorbei ist.«
Naradin umarmte seinen Vater. Für kurze Zeit standen sie so da, jeder an den anderen und seine eigene Hoffnung geklammert, dann lösten sie sich und gingen getrennte Wege.
Kräftige Männer kurbelten langsam die Schleuderarme der Katapulte zurück und schleppten Körbe mit Steinen und Schutt herbei. Kanin nan Horin-Gyre stand an der Einmündung einer engen Gasse mit Blick auf das Tor von Burg Anduran, aber durch ein tief gezogenes Dach gut gegen Pfeile geschützt. Ein Mann, der zwanzig Schritte entfernt neben einem der Katapulte wartete, blickte angespannt auf den Titelerben. Kanin nickte, und mit einem Donnerschlag erwachten die drei Wurfmaschinen abermals zum Leben.
Kanin wandte sich an die hagere Gestalt an seiner Seite.
»Auf denn!«, rief er und nickte dem Tarbain-Häuptling zu.
Die Augen des Mannes glommen feindselig, und er fletschte das schadhafte Gebiss, als sei er im Begriff, eine zornige Antwort zu geben. Dann aber senkte er nur den Kopf mit dem grauen Zottelhaar und trat mit einem einzigen langen Schritt ins Freie hinaus. Er sog die Luft durch die Zahnlücken, breitete die Arme aus und heulte mit aller Kraft seiner alten Lungen los. Es war ein Schrei ohne Worte.
Hunderte Tarbain-Krieger, die hinter den Schanzwerken kauerten, sprangen wie ein Mann auf und machten sich mit wildem Johlen Luft. Eine brodelnde Masse strömte auf die Burgmauer zu, mit langen Sturmleitern, die auf und ab schaukelten wie Äste in einem reißenden Fluss. Viele der Angreifer stürzten. Ihre Kameraden schoben sie beiseite oder trampelten über sie hinweg. Pfeile und Steine prasselten von den Wehrgängen herab. Felsbrocken, von den Katapulten geschleudert, prallten von der Außenmauer ab und trafen die anstürmenden Barbaren. Aber die Leitern erreichten den Schutzwall und wurden aufgerichtet.
Während die Tarbain nach
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