Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
oben wuselten wie Ameisen auf einen hohen Felsen, pflügte ein Trupp von etwa dreißig Mann – die stärksten von Kanins eigenen Kriegern – durch das Gewühl und hielt auf das Tor zu. Sie schoben einen Rammbock auf Rädern vor sich her, einen dicken, geraden Eichenstamm, dessen Ende sie mit Eisen verstärkt hatten. Noch ehe sie ihn auf die mächtigen Bohlen des Burgtors ausrichten konnten, hatte ein Hagel aus Steinen und Pfeilen ein Dutzend von ihnen außer Gefecht gesetzt. Andere rannten herbei und nahmen ihre Plätze ein.
Auf dem Burgwall kam es mittlerweile zu blutigen Nahkämpfen. Tarbain stürzten schreiend von den Leitern in die Tiefe, mitten in das Gewühl ihrer Stammesgenossen. Andere erklommen die Zinnen, wo sie auf Frauen, Greise und Knaben trafen, welche die Reihen der Krieger verstärkten und mit Knüppeln, Keulen, Äxten und Küchenmessern auf sie eindrangen. Es gab Tote auf beiden Seiten.
Than Croesan kam den Wall entlanggestürmt, umgeben von seiner Leibgarde. Gegen ihre Langschwerter boten die Felljacken der Tarbain wenig Schutz. Berge von Leichen türmten sich auf. Die Verwundeten stöhnten und wanden sich vor Schmerzen, als immer neue Angreifer über sie hinwegtrampelten. Croesan erreichte eine Leiter und hieb zornig nach dem Mann, der sie gerade erklomm. Seine Schildwache stemmte die Leiter mit Stangen von der Mauer weg. Sie geriet ins Wanken und kippte um. Am Fuß des Walls krachte der Rammbock gegen das Tor.
Der Than wischte sich Blutspritzer von den Wimpern. Er schaute nach links und nach rechts. Der Kampf war noch im Gange, aber die Verteidiger der Festung behielten die Oberhand. Nirgends hatten es die Tarbain geschafft, sicheren Fuß zu fassen. Ein schwerer Felsbrocken krachte gegen eine nahe Zinne, wurde nach oben geschleudert und trudelte weiter in den Burghof. Croesan spähte zornerfüllt hinab zu den Belagerern und sah, dass seinen Mannen keine Verschnaufpause gegönnt war. Eine größere Schar von Horin-Gyre-Kriegern stellte sich gerade in Kampfformation auf, die Speerträger vorn, die Schwert- und Axtkämpfer hinter ihnen. Ein halbherziger Pfeilhagel kam von den Teilen des Festungswalls, der noch nicht von den Tarbain angegriffen wurde. Das Knirschen und Splittern von Holz verriet, dass die Torbohlen dem Rammbock nicht mehr lange standhalten würden. Am Fuß der Burgmauer wimmelte es von Kämpfern des Schwarzen Pfads. Immer mehr Leitern wurden aufgerichtet. Croesan wandte sich ab. Ein Schwall von Armbrustbolzen zischte über ihn hinweg. Einer seiner Männer fiel, als ein Geschoss den Helm durchschlug.
Das Haupttor gab nach. Horin-Gyre-Krieger erweiterten die Risse und strömten in den Durchgang, bis das innere Tor ihnen den Weg versperrte. Hier, im Halbdunkel unter dem massiven Bau des Torhauses, fanden Dutzende den Tod, getroffen von Geschossen aus Schlitzen und Nischen. Der Rammbock rollte heran und zermalmte Tote und Verwundete unter seinen Rädern.
Die Tarbain waren erschöpft, und die Überlebenden des Sturmangriffs wichen zurück. Aber die Attacke hatte ihren Zweck erfüllt. Die mit Kettenhemden geschützten Krieger des Schwarzen Pfads, die nun die Leitern erklommen und ihre Plätze einnahmen, fanden Verteidiger vor, die zahlen- und kräftemäßig geschwächt waren. Im Hof versammelte Croesan seine Leibgarde und alle anderen Kämpfer, die er finden konnte, zur Verteidigung des inneren Tors. Seine Blicke schweiften zu den Zinnen hinauf. Das Ende war jetzt schon abzusehen. Burg Anduran würde dem Feind gehören, auch wenn er dafür einen hohen Preis bezahlen musste. Der Mut und die Entschlossenheit der Lannis-Leute reichten nicht aus, um die Glaubenskrieger zu besiegen. Sie waren einfach zu viele. Das innere Tor erzitterte, als der Rammbock abermals gegen die Bohlen krachte. Splitter flogen umher. Eine Staubwolke stieg auf.
»Lannis!«, schrie der Than und schwenkte das Schwert über dem Kopf.
»Lannis!«, rief er noch einmal, und die Männer ringsum nahmen den Ruf auf.
Dann gab das innere Tor nach. Croesan stürmte auf die Kämpfer vom Schwarzen Pfad zu.
Im Schatten des Torhauses, im Umkreis des im Stich gelassenen Rammbocks, im Durchgang zwischen den Toren tobte die Schlacht. Speere klirrten gegen Schilde, wurden pariert, zerbrachen, schlugen tiefe Wunden. Mann kämpfte gegen Mann. Messer blitzten. Die Angreifer wurden von den nachdrängenden Kriegern vorwärtsgeschoben. Lange hielten die Verteidiger des Hauses Lannis-Haig dem Druck nicht stand. Ineinander verkeilte
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