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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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ihren Stämmen hatten sich nicht verändert.
    Er hielt das Messer in der Hand. Rothe hatte es für ihn geborgen und in einem Eimer Wasser gewaschen, den sie in der Hütte gleich neben der Tür entdeckt hatten. Sich selbst hatte Orisian, so gut es ging, vom Blut gesäubert, aber die Flecken in seiner Jacke ließen sich vermutlich nicht mehr entfernen.
    Sein Leibwächter kam und setzte sich neben ihn.
    »Alles in Ordnung?«
    »Es ist ein Unterschied zwischen Lehrstunden und dem Ernstfall, nicht wahr?«, entgegnete Orisian.
    »Sicher. Aber Ihr habt Eure Sache gut gemacht. Habt keine Furcht gezeigt und seid am Leben geblieben. Sehr viel mehr kann man nicht verlangen.«
    Ess’yr prüfte nicht weit entfernt von ihnen die neue Sehne, mit der sie ihren Bogen bestückt hatte. Orisian deutete zu ihr hinüber.
    »Genau genommen hat sie ihn getötet. Aus der Speerwunde schoss das Blut in solchen Strömen, dass er auf keinen Fall überlebt hätte.« Noch während er das sagte, zögerte er. Das flaue Gefühl in seiner Magengrube blieb, gleichgültig, ob er nun recht hatte oder nicht.
    »Wahrscheinlich. Aber Ihr habt dafür gesorgt, dass er nicht wieder aufstand. Das ist wichtig, Orisian. Wenn Ihr eine Sache nur halb erledigt, seid eines Tages Ihr derjenige, der sein Leben einbüßt.«
    »Ich dachte, ich würde mich danach besser fühlen«, meinte Orisian.
    »Besser?«
    »Ich hatte gehoft, es wöge irgendwie das Winterfest auf. Den Tod meines Vaters.«
    »Aber das war nicht so?«
    »Nein.«
    »Es ist ein Anfang. Diese Männer mussten sterben, weil sie Feinde des Lannis-Geschlechts waren.«
    Orisian bezweifelte inzwischen, dass sich die Ereignisse des Winterfests durch neues Töten aufwiegen ließen. Was vorhin geschehen war, hatte seinem Gefühl nach nichts mit Kolglas zu tun. Und wenn es sich tausendmal wiederholte – es gab ihm nicht die Möglichkeit, seinem Vater zu sagen, dass er ihn trotz allem geliebt hatte. Ess’yr schoss einen Pfeil ab. Er schlug mit einem dumpfen Laut in einen Birkenstamm und blieb dort zitternd stecken.
    »Aber mit dem Bogen weiß sie umzugehen, nicht wahr?«, fragte Orisian.
    »Allerdings. Das immerhin steht fest.«

    Die Tarbain überließen sie den Aasfressern. Den Jungen holten sie und bestatteten ihn zusammen mit seiner Familie in einem flachen Grab vor der Hütte. Es war ein karger Abschied, ganz gegen die Tradition des Lannis-Hauses. Aber ein lodernder Scheiterhaufen kam nicht in Frage. Der Rauch hätte möglicherweise Feinde angelockt. Sie aßen reichlich und packten so viele Lebensmittel zusammen, wie sie tragen konnten, obwohl sich Orisian nicht wohl dabei fühlte.
    »Wenn wir das Zeug zurücklassen, fressen es die Ratten«, gab Rothe zu bedenken. »Wir haben für sie getan, was wir konnten. Sie würden es uns gönnen.«
    Schweigend wanderten sie durch den Nachmittag. Als die Dämmerung hereinbrach, erreichten sie den Waldrand, und das Glas-Tal lag vor ihnen – eine wellige, baumfreie Hügellandschaft, die allmählich in die Niederungen des Talbodens überging. Es war eine weite Ebene, die sich wie ein grüner Fleckenteppich zu ihren Füßen erstreckte, mit verstreuten Höfen und Weidetieren hier und da. Aber nirgends waren Menschen zu sehen, und von keinem der Häuser stieg Rauch auf. Orisian fühlte sich beklommen. Verglichen mit der offenen Weite des Flusstals schien ihm der Wald mehr Sicherheit und Geborgenheit zu bieten.
    Anduran lag in der Mitte des Tals, eingebettet in eine träge Schleife des Glas-Flusses, ein wenig östlich von ihrem Standort. Auf dem Wasser lag noch ein schwacher Schein, obwohl die Sonne gerade hinter dem Horizont versank. Die Festung ragte schroff gegen das Flussufer auf. Die Stadt, die sie bewachte, lag in ihrem Süden, eine dunkle Verfärbung in der Talsenke. Orisian empfand nicht die erwartete Woge der Erleichterung.
    Rothe trat neben ihn.
    »Was meinst du?«, fragte Orisian.
    Rothe verengte die Augen zu Schlitzen und schaute angestrengt über die Landschaft hinweg.
    »Ein Lager«, sagte Ess’yr. »Dort!«
    Rothe und Orisian spähten in Richtung ihres ausgestreckten Arms. Orisian glaubte zu erkennen, was sie meinte – einen verschwommenen hellen Fleck um eine dunklere Mitte, nicht weit von Anduran entfernt. Es konnte sich um Zelte handeln, die im Umkreis eines großen Bauernhofs errichtet waren. Was immer der Fleck darstellen mochte – er hatte ihn nicht gesehen, als er mit Rothe vor so vielen Tagen von Anduran aufgebrochen war.
    »Was hat das zu

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