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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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bedeuten?«, murmelte Rothe.
    »Der Feind«, sagte Ess’yr.
    »Schleiereulen«, setzte ihr Bruder hinzu, und zum ersten Mal überhaupt verriet sein Tonfall eine Gemütsbewegung. Er stieß die Worte hervor, als schmeckten sie bitter.
    Rothe unterdrückte ein Lachen. »Schleiereulen? Die müssten sich zu Hunderten versammelt haben, um solch ein großes Lager aufzubauen – und das mitten im Tal, in Reichweite von Anduran? Das wäre Wahnsinn.«
    »Nein«, war alles, was Ess’yr sagte.
    »Unmöglich«, beharrte Rothe. »Inkallim in Kolglas und Tarbain hier sind merkwürdig genug – aber Schleiereulen in Anduran?«
    Orisian runzelte die Stirn. »Es war eigentlich auch ausgeschlossen, dass Inkallim bis nach Kolglas vordringen würden, und doch taten sie es. Die Schleiereulen halfen ihnen dabei. Zumindest behauptete das In’hynyr im Vo’an .«
    Varryn war in die Hocke gegangen. Er beteiligte sich nicht mehr an der Beratung, sondern starrte unentwegt zu dem Lager hinunter. Orisian wandte sich an Ess’yr.
    »Bist du sicher?«
    »Ja.«
    Rothe schnaubte verärgert, aber Orisian beachtete ihn nicht.
    »Wie viele?«, fragte er Ess’yr.
    »Viele.«
    »Nun, ich habe nicht die Absicht, jetzt umzukehren. Wir werden uns vorsichtig nähern und sehen, was wir vorfinden.«
    »Wartet auf Dunkelheit!«, riet Ess’yr. »Wir kommen auch. Wir müssen wissen, was der Feind treibt. Wir sehen noch, wo ihr blind seid.«
    VIII
    Der Arm des Katapults federte, und ein Feuerbogen übersprang den Burgwall von Anduran. Ein lautes Rauschen erfüllte die Luft, dann schlug das Fass mit brennendem Öl und Pech dumpf jenseits der Mauer auf. Die Belagerer, die sich hinter primitive Schanzwerke gegenüber der Festung duckten, brachen in ein Freudengeheul aus und feuerten die Männer, die den schweren Wurfarm zurückkurbelten, mit lauten Rufen an. Insgesamt gab es drei Katapulte, die seit geraumer Zeit im Einsatz waren. Der Qualm und Gestank ihrer Geschosse hing wie eine Glocke über der ganzen Umgebung. Anfangs hatten die Verteidiger der Burg versucht, die Krieger an den Wurfmaschinen mit Pfeilen zu treffen, aber die Entfernung war zu groß für ein genaues Zielen, und eine dichte Reihe Schildträger schützte die Männer. Nun, gegen Ende des Tags, blieben die Angriffe mit brennenden Fässern, Steinen und abgeschnittenen Köpfen unbeantwortet.

    Auf den Straßen und in den Häusern jenseits des Kampfbereichs herrschte gedämpfte Betriebsamkeit. Kleine Gruppen von Kriegern, die Füße mit Lappen umwickelt, huschten durch die Gassen und sammelten sich in verlassenen Häusern und Schenken. Ihre Hauptleute brachten jedes Geflüster mit mörderischen Blicken zum Schweigen. Sie trugen keine Fackeln und fluchten unterdrückt, wenn sie stolperten oder stürzten. Becher mit Kornschnaps machten die Runde, doch es gab nicht mehr als einen Schluck für jeden. Einige der Krieger schliefen, andere nicht. Manche murmelten in das Dunkel: »Ich gehe den Pfad. Ich gehe den Pfad.« Und die Katapulte dröhnten unentwegt durch die Nacht und schleuderten Feuerbänder in den schwarzen Himmel.

    In den Stunden vor Tagesanbruch wurde es kälter. Das erste Morgenlicht brachte bittere Kälte mit sich. Im Norden türmten sich Wolken um die Gipfel des Car Criagar. Die Männer auf den Wehrgängen blickten fröstelnd über die Stadt hinweg, die allmählich aus dem Dunkel auftauchte. Die Katapulte waren verstummt, und auch in ihrer Umgebung rührte sich nichts. Hier und da flackerten merkwürdige Lichter in Anduran. Irgendwo stürzten vom Feuer zerfressene Balken krachend ein.
    Es war ein Bild der Ruhe – solange man die Szene nur flüchtig betrachtete. Um die Barrikaden und niedrigen Erdwälle, welche die Belagerer am Fuß der Festungsmauer errichtet hatten, drängten sich mehr Tarbain als je zuvor. Sie pressten sich gegen den Boden und nutzten jede Deckung aus. Von den Zinnen herab durchschnitten Pfeile die Luft, doch gleich darauf kam der hastige Befehl, sparsam damit umzugehen. Gestalten bewegten sich entlang der Häuser, nicht viele, aber schnell und zielstrebig. Die Männer auf den Wehrgängen schauten genauer hin und sahen Speere und andere Stangenwaffen. Dann entdeckten sie weitere Gestalten im Schatten überhängender Dächer. Der Schwarze Pfad hatte seine Kämpfer in voller Stärke versammelt.
    Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in der Festung. »Sie versuchen den Wall zu stürmen!«, hieß es. Oder: »Sie werden das Tor aufbrechen!« Die meisten aber riefen

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