Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Trupps wichen in den Hof zurück.
Naradin, der Titelerbe, stürmte mit einem Dutzend Männern aus dem Bergfried herbei. Sie hieben eine Schneise in die Reihen des Feindes und kämpften sich an die Seite des Thans durch. Eine Speerspitze zog eine blutige Furche über Croesans Wange. Er schlug die Waffe zur Seite und streckte die Kriegerin nieder, die ihn angegriffen hatte. Naradin verlor das Gleichgewicht, stolperte und fing einen Axtstreich mit dem Schild ab. Sein Arm brach unter der Wucht des Schlags, aber er hieb dem Angreifer die Hand mitsamt der Axt ab. Der Angriff der Glaubenskrieger geriet ins Stocken. Das Kopfsteinpflaster war glitschig von Blut, und die Toten türmten sich zu Barrieren wie vom Wind zusammengeschobenes Laub. Kämpfer rutschten aus, stürzten über die Gefallenen und starben ebenfalls. Die Lannis-Haig-Krieger drängten ihre Widersacher allmählich zurück.
»Zu mir! Zu mir!«, schrie Croesan aus dem dicksten Kampfgetümmel. Er grub sein Schwert tief in die Seite eines Gegners. Die Klinge verfing sich zwischen den Rippen, und als der Mann zu Boden sank, konnte der Than sie nicht frei bekommen. Fluchend zerrte er am Griff. In diesem Augenblick sauste ein Schwert auf seine Schulter nieder, schnitt tief ins Fleisch und zerschmetterte den Knochen. Croesan sank auf die Knie und löste die Hand von der Waffe, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Seine Schildwachen schoben sich vor ihn und versuchten ihn mit ihren Körpern zu schützen. Naradin stützte ihn mit seinem gesunden Arm. Ein Bolzen jagte vom Wehrgang herab und bohrte sich in die Kehle des Titelerben. Er fasste nach der Wunde, wankte rückwärts und brach zusammen. Andere Männer halfen Croesan auf die Beine. Einem von ihnen entriss er das Schwert. Der Schild glitt aus seinem schlaff herabhängenden Arm. Croesan hielt Ausschau nach seinem Sohn, entdeckte ihn aber nirgends.
Neue Angreifer stürmten heran. Inkallim waren darunter, außerdem Wain und Kanin mit seiner Leibgarde. Die Kämpfe im Hof entbrannten von Neuem. Schildwachen bildeten einen dichten Ring um Croesan. Die Wogen der Eindringlinge prallten dagegen. Ein Verteidiger nach dem anderen fiel, bis der Than von Lannis-Haig nur noch von Fußsoldaten des Hauses Horin-Gyre umgeben war. Sie mähten ihn erbarmungslos nieder.
Die Krieger vom Schwarzen Pfad fegten durch Burg Anduran wie ein Rudel verwilderter Hunde. In Stiegenhäusern und Gängen wurde verzweifelt gekämpft. In den Küchen und Sälen wurden Männer, Frauen und Kinder niedergemetzelt. Äxte brachen die Tür zum Wohnturm auf. Ein Stockwerk um das andere fiel den Eroberern in die Hände. Schließlich stürmte Wain nan Horin-Gyre an der Spitze eines Kriegertrupps die letzte Wendeltreppe nach oben und betrat ein Gemach mit kahlen Wänden und nackten Dielenbrettern. Auf einem schlichten Holzstuhl neben einem Bett saß Eilan nan Lannis-Haig. Sie wiegte ihren Sohn Croesan in den Armen und starrte den Eindringlingen entgegen. Sanft und ohne Eile legte sie den Kleinen auf das Bett.
»Ihr seid die Gemahlin des Titelerben?«, herrschte Wain sie an.
Eilan gab keine Antwort. Wain hob ihr blutbeflecktes Schwert und trat näher. Eilan ergriff ebenfalls ein kurzes Schwert, das an ihrem Stuhl lehnte, und erwartete die Kriegerin.
Als alles vorbei war, wischte Wain nan Horin-Gyre ihre Klinge an den weißen Bettlaken ab.
Der Titelerbe stand mitten im Hof der Festung. Er war so aufgewühlt, dass er Angst hatte, seine Hände könnten zittern. Die Waffen schwiegen nun seit fast einer Stunde, aber er hielt noch immer das Schwert und den Schild umklammert. Schweiß lief ihm über den Rücken. Er blinzelte gegen die Tränen, das Blut oder was immer seine Sicht behinderte. In seinem Gürtel steckte ein kleines Glasgefäß. Es enthielt Staub: Staub von der Burg Anduran, den er gesammelt hatte, um ihn seinem Vater droben im Norden als Geschenk zu übersenden.
Wain trat neben ihn.
Kanin streckte ihr einen Arm mit der Handfläche nach unten entgegen. »Da, sie ist ganz ruhig, nicht wahr? Ich selbst kann es nicht beurteilen.«
Wain lächelte ihn an. Er hätte sich am liebsten an ihre starke Schulter gelehnt. Die ganze Anspannung, die verzweifelte Hoffnung der letzten Wochen war hinweggeschwemmt und hatte seine letzten Kräfte mitgerissen. Nun fühlte er sich erschöpft und freudig erregt zugleich. Leichen übersäten den Boden. Sie türmten sich im Torhaus der Burg. Noch stieg Rauch von verkohlten Holzbalken auf. Die Verteidiger der Festung waren
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