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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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es für möglich gehalten hatte. Nyve hatte recht: Sie mussten nun rasch zu einer Entscheidung gelangen. Und er sollte daran denken, Nyve bei Gelegenheit ein Kompliment zu seinem beißenden Humor zu machen: Es war schon ein starkes Stück, einen hochgestellten Spross des Adelsgeschlechts Gaven-Gyre mit der Nachricht vom Sieg des Hauses Horin-Gyre durch die Wälder zu hetzen. Lakkan würde Gift und Galle in seinen mit Edelsteinen besetzten Kelch spucken, wenn er davon erführe.

    Die Abenddämmerung senkte sich über das Glas-Tal und tauchte das Land in graublaue Schatten. Hoch droben im Bergfried von Burg Anduran stand Kanin nan Horin-Gyre an einem Fenster und sah den Tag zur Neige gehen. Die Stadt lag unter ihm, umgeben von Ackerland, durch das sich die Straße nach Süden zog. Die Schleiereulen hatten ihre Lagerfeuer entfacht. Immer wieder wanderten seine Blicke zu den orangeroten Lichtpunkten draußen auf den Feldern. Die ständige Anwesenheit der Kyrinin auf Ländereien, die nun den Gyre-Geschlechtern gehörten, war eine bittere Enttäuschung für Kanin, aber er konnte sich nicht dazu entschließen, so viele Krieger fortzuschicken, die gewillt waren, weiterhin für die Sache des Schwarzen Pfads zu kämpfen.
    Seit seiner Rückkehr von den Wasserfällen am Snowfluss hatte sich Aeglyss im Lager der Schleiereulen verkrochen. Einer von Kanins Wächtern, der das Halbblut mit seiner Schar über die Brücke des Glas zurückkommen sah, hatte berichtet, dass Aeglyss im Sattel schwankte wie ein Verwundeter, obwohl nirgends an seiner Kleidung Blutspuren zu erkennen waren. Seltsame Laute, wie von einem Mann im Fieber oder Todesschlaf, seien ihm über die Lippen gekommen, und er habe den Kopf auf die Brust hängen lassen, sodass sein Gesicht völlig verdeckt gewesen sei.
    Kanin hatte Boten zum Lager geschickt, sobald er die Kunde von Aeglyss’ Ankunft erhielt. Sie kamen fast unverrichteter Dinge wieder, da die Schleiereulen sie abgewiesen hatten. Nur ein Kyrinin-Krieger, der kaum ihrer Sprache mächtig war, hatte ihnen berichtet, dass der Na’kyrim aus Kolglas den Tod gefunden habe, die anderen jedoch – drei Huanin und zwei Füchse – ins Hochgebirge geflohen seien. Die Nachricht hatte bei Kanin Wut und Niedergeschlagenheit ausgelöst. Dass ein Halbblut bei der Verfolgung das Leben verloren hatte, kümmerte ihn wenig. Etwas anderes war das Entkommen dieser jungen Lannis-Frau, die vermutlich die Letzte ihrer Linie war. Das Versprechen, erst dann wieder heimzukehren, wenn jedes Mitglied dieser verhassten Familie ausgelöscht war, hatte er einem Mann gegeben, den er vor dem Kall wohl nicht mehr sehen würde. Es war ein ehrenwerter, ein kühner Schwur gewesen, mit dem er sich bereit erklärt hatte, jedes Schicksal auf sich zu nehmen, das der Schwarze Pfad ihm auferlegte. Und nun war das Mädchen verschwunden. Aeglyss hatte es von Anfang an nur auf den anderen Na’kyrim abgesehen gehabt. Deshalb war das Mädchen ihm – und somit auch Kanin – entwischt.
    Unterbewusst spürte der Titelerbe, dass er nicht mehr allein war. Als er sich vom Fenster abwandte, sah er Shraeve auf der Schwelle stehen. Igris befand sich dicht hinter ihr und wartete auf ein Zeichen seines Herrn. Kanin entließ seinen Schildträger mit einem knappen Kopfschütteln. Wortlos deutete er auf einen der Stühle, die einen lang gestreckten Tisch umgaben, aber Shraeve übersah die Geste.
    »Eure Schwester verriet mir, dass ich Euch hier fände«, begann die Inkallim.
    »Von hier aus hat man einen weiten Rundblick auf unseren neuen Besitz«, meinte Kanin mit einem trockenen Lachen. Er ließ sich auf einem Stuhl nieder. Sein Vater hatte ihm immer gepredigt, dass man die stärkere Position einnahm, wenn man saß, während der Gesprächspartner stand. Kanin gab sich allerdings nicht der Illusion hin, dass er eine Frau wie Shraeve einschüchtern könne.
    Sie ließ die Blicke durch den Raum wandern und betrachtete die großen hellen Vierecke an den Wänden.
    »Die Wandteppiche erschienen mir unpassend«, erklärte Kanin. »Ich ließ sie verbrennen.«
    Die Inkallim ging an ihm vorbei zu dem Fenster, das er bei ihrem Eintreten verlassen hatte, und spähte in das wachsende Dunkel hinaus. Die beiden auf ihrem Rücken überkreuzten Schwerter ragten als schroffe Umrisse gegen den Himmel auf.
    »Ein richtiges Heer, wenn man Kyrinin-Maßstäbe anlegt«, murmelte sie. »Ich ließ die Speere zählen …«
    »Gut dreihundert«, unterbrach Kanin die Kriegerin. »Ich hatte den

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