Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
Vom Netzwerk:
scheint. Der ist vor allem damit beschäftigt, die Fürstenhäuser gegeneinander auszuspielen, seine Macht zu sichern und seine Herrschaft auszuweiten. So etwas geschieht nicht zum ersten Mal. Es liegt in der Natur von Herrschern, das Herrschen selbst zu ihrem Daseinszweck zu machen. Seht Euch Gryvan oc Haig an! Aber für uns besteht da ein Unterschied. Der Hoch-Than von Gyre ist nicht nur Than aller Thane. Er muss vor allem Hüter des Glaubens und Kämpfer für den Schwarzen Pfad sein.«
    »Immer noch erfüllt von Leidenschaft, auch im Herbst Eurer Jahre!«, stellte Nyve mit einem Lächeln fest.
    »Als Herr über die Legenden und Balladen muss ich das wohl sein.«
    Nyve nickte. »Mir schwant, dass irgendwo am Horizont eine drohende Wolke steht.«
    »Ragnors Haltung gibt mir Rätsel auf. Große Rätsel. Die Rückkehr seines Geschlechts in die rechtmäßige Heimat Kan Avor liegt ihm offenbar nicht sonderlich am Herzen. Lieber sieht er tatenlos zu, wie das Haus Horin-Gyre ausgelöscht wird. Man stelle sich das vor! Zum ersten Mal seit mehr als hundert Jahren erweist sich ein Heer des Schwarzen Pfads in Kämpfen südlich des Tals der Steine als siegreich, und dem Hoch-Than von Gyre ist das bestenfalls gleichgültig. Selbst wenn Ragnor anfangs skeptisch war – Kanins Sieg hätte wenigstens seine Aufmerksamkeit erregen müssen.«
    »Seltsame Zeiten, das gebe ich zu.«
    »So seltsam, dass vermutlich mehr dahintersteckt, als von außen zu erkennen ist. Ich möchte wissen, was unser Hoch-Than wirklich denkt und welchem dunklen Punkt sein Zögern entspringt. Er war übrigens nicht der Einzige, mit dem ich bei Angains Bestattung sprach. Als wir allein in den Katakomben weilten, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen, vertraute mir seine Gemahlin Vana an, dass sie einen Mann in Gewahrsam hatte, einen Kurier des Hoch-Thans, der heimlich die Grenze des Horin-Gyre-Gebiets überschreiten wollte und dabei ertappt wurde.«
    Nyve zog die grauen Augenbrauen hoch. Obwohl sie sich seit Langem kannten, konnte ihn der Hüter der Balladen immer noch in Erstaunen versetzen.
    »Das Haus Horin-Gyre hält Boten des Hoch-Thans fest?«
    »Nur diesen einen. Er weckte ihren Argwohn. Wohin wollte er? Eine Frage, die sie – und mich – beschäftigt. Wem außerhalb seines Herrschaftsgebiets lässt Ragnor eine Nachricht zukommen? Der Kurier schweigt, und seine Botschaft ist so verschlüsselt, dass Vanas Leute sie nicht zu lesen vermögen.«
    »Ich halte es nicht nur für merkwürdig, sondern für gefährlich, wenn ein Haus des Schwarzen Pfads Gyre-Kuriere abfängt«, erklärte der Führer der Krieger-Inkall. »Und für mehr als gefährlich, dass wir davon erfahren und unser Wissen nicht an Ragnor weitergeben. Aber genau das ist es, was Ihr vorschlagt, nicht wahr?«
    »Wir sind Inkallim. Der Glaube steht immer an erster Stelle. Er kommt vor allen anderen Erwägungen. Wenn der Glaube bedroht ist, müssen wir handeln. Vana schafft es nicht, dem Boten die Wahrheit zu entlocken. Sie hat angeboten, den Gefangenen und seine Botschaft an uns zu überstellen. An die Jagd.«
    »Habt Ihr schon mit Avenn gesprochen?«, fragte Nyve. Zweifel schwang in seiner Stimme mit. Keiner von ihnen musste erwähnen, dass der Bote, was immer seine Mission sein mochte, ein Verhör der Jäger-Inkall nicht überleben würde.
    Theor schüttelte den Kopf. »Ihr wisst, dass ich das ohne Euer Einverständnis nie täte.«
    »Darauf einen Schluck Narqan «, sagte Nyve. Er klopfte auf einen Beistelltisch. »Wo bleibt nur dieser Junge, wenn man ihn braucht?«
    Er sah Theor grübelnd an. »Ihr gestattet mir, über diese Geschichte nachzudenken?«
    »So lange Ihr wollt«, entgegnete Theor.
    Nyves Lächeln kehrte zurück. Von seiner hässlichen Narbe abgesehen, wirkte er wie ein leutseliger alter Mann, der sein behagliches Leben genoss. »Es ist eine Weile her, seit wir mit solchen Dingen zu tun hatten. Fast könnte man sich wieder jung fühlen.«

    Theor entfernte sich durch eine unauffällige Seitentür, die von den Übungshöfen und der Waffenschmiede aus nicht zu sehen war. Er folgte einem Säulenweg hinter das Lager der Krieger-Inkall und passierte ein Tor in der äußeren Mauer. Dort erwarteten ihn seine Sänftenträger; solange noch kein strenger Frost eingesetzt hatte, waren die Wege über den Hügel zum heiligen Bezirk der Barden zu schlammig für seine Füße.
    Der spärliche Schnee, der in der Nacht gefallen war, hatte nicht lange gehalten, aber die Luft schmeckte

Weitere Kostenlose Bücher