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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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zum Meer und bot deshalb den einzig möglichen Fluchtweg für diese Lannis-Haig-Ratten. Kanin hatte die Absicht, Koldihrve vor ihnen zu erreichen.
    Er wusste, dass es ein überstürzter Entschluss war, aber er hielt ihn für besser als die meisten Entscheidungen der letzten Tage. Trotz all der Triumphe seit ihrem Aufbruch in den Süden, trotz der Siege in Kolglas, Grive und Anduran wurde er das Gefühl nicht los, dass ihm die Ereignisse allmählich entglitten. Fest stand, dass er längst nicht mehr die Herrschaft über Aeglyss und seine Schleiereulen besaß – wenn er sie je besessen hatte. Die Inkallim schienen wenig mehr als belustigte Zuschauer zu sein, und die Ländereien, die er und Wain erobert hatten, ließen sich nur halten, wenn ihm die anderen Häuser des Schwarzen Pfads zu Hilfe kamen.
    Die einzige klare Aufgabe, die er vor sich sah, die einzige Angelegenheit, die er geradewegs in Angriff nehmen konnte, war dieser unvollendete Feldzug gegen die Familie von Croesan oc Lannis-Haig. Falls er es schaffte, das Lannis-Geschlecht auszulöschen, konnte ihm diesen Erfolg niemand mehr nehmen, gleichgültig, was danach kam. Und er würde nicht versagen wie die Inkallim. Sie, die sich so überlegen fühlten, hatten in Kolglas einen Halbwüchsigen entkommen lassen. Wenn ausgerechnet er diesen Schnitzer wiedergutmachte, war das eine kleine Rache für ihren einstigen Verrat am Horin-Gyre-Geschlecht während der Schlacht im Tal der Steine.

    Wain kam zu ihm, als er gerade mit seinen Hauptleuten zusammensaß und letzte Absprachen wegen der Ausrüstung traf, die sein Trupp benötigte. Noch ehe sie ein Wort gesagt hatte, verriet ihm ihre Miene, dass es besser war, die anderen zu entlassen. Auf einem Stuhl neben ihm nahm sie Platz.
    »Boten sind eingetroffen«, begann sie und starrte die Tischplatte an. »Tanwrye behauptet sich noch, aber das Gebiet zwischen hier und der Stadt ist unterworfen. Sie können uns einen Teil ihrer Kräfte zur Verfügung stellen. An die hundert Reiter werden in einem Tag eintreffen, doppelt so viele Speerkämpfer in weiteren zwei oder drei Tagen – die meisten davon unsere eigenen Leute, dazu einige von Gyre.«
    »Erfreuliche Nachrichten …«
    »Nicht nur«, unterbrach sie ihn. »Unser Vater … starb am ersten Tag des Winters.«
    Kanin senkte den Kopf. Er hatte gewusst, dass dieser Augenblick näher rückte – hatte bereits Abschied genommen –, aber dennoch traf es ihn unvorbereitet, wie immer in solchen Fällen. Nun musste er lange warten, bis er seinen Vater wiedersah, bis zum Tod der Welt selbst und ihrer Wiedergeburt.
    Und war es falsch, darin ein Zeichen zu sehen? Das Leben der Menschen verlor sich im großen Fluss der Vorsehung, und doch waren Muster – ein Sinn – in ihrem Zusammenwirken zu erkennen. Nichts geschah durch Zufall. Die Nachricht vom Tod seines Vaters traf am Vorabend einer Reise ein, die er in seinem Namen antrat. Vielleicht steckte darin eine besondere Bedeutung.
    Wain beobachtete ihn. »Du bist jetzt Than«, sagte sie leise. »Begib dich nicht in den Car Criagar! Dein Platz ist hier.«
    »Nein, Wain. Willst du, dass ich vor unserem Vater als Lügner dastehe? Wenn ich ihn in der neuen Welt wiedersehe, will ich ihm nicht gleich zu Beginn jenes zweiten Lebens eingestehen müssen, dass ich versagt habe. Wenn ich die beiden nicht töte, wird uns alles, was wir errungen haben, wieder genommen werden. Andere mögen vielleicht vergessen, aber solange auch nur ein Nachkomme jener Linie am Leben bleibt, wird er sein Land zurückfordern. Der Than ist das Geblüt. Du weißt das.«
    »Wir müssen dich zum Than ausrufen«, sagte sie. »Wir müssen …«
    »Nicht jetzt. Wenn ich zurückkomme.« Zum ersten Mal war er der Energische. »Ich werde nicht lange fort sein. Und du weißt so gut wie ich, dass ich hier nicht ernsthaft gebraucht werde. Du kannst das Heer ebenso führen wie ich. Ich und meine fünfzig Krieger machen keinen Unterschied, ganz gleich, was während meiner Abwesenheit geschieht. Uns war von Anfang an klar, dass unser Unternehmen letztlich scheitern würde, wenn uns die anderen Häuser nicht zu Hilfe kämen.« Er machte eine Pause. »Sollten wir dem Nichts entgegensteuern, so sei es drum, aber ehe ich dorthin gehe, will ich zumindest versuchen, das Geschlecht Lannis-Haig auszulöschen.«
    Er nahm das kleine Glasgefäß mit dem Staub von Burg Anduran, das auf dem Tisch lag, und drückte es ihr in die Hand.
    »Dies wollte ich unserem Vater schicken. Sende es nun an

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