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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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ein Zischen, ein Brodeln, ein Grollen und Donnern. Für Wain klang es wie Schnee, von der Sonne an einem fernen Berghang gelöst und mit immer größerem Getöse zu Tal stürzend. Kiesel und Erdklumpen rollten die Dammböschung herunter. Wie Blut, das aus zahllosen kleinen Wunden quillt, drang Wasser aus dem Deich. Die vier Arbeitsgäule wieherten angstvoll und bäumten sich gegen ihre Ketten auf. Einem der Tiere gelang es, sich loszureißen. Wasserfontänen spritzten auf, als es durch die Sümpfe floh. Die sechs Inkallim standen da und starrten zum Siriandeich hinauf. Einer von ihnen drehte sich zu Shraeve, Wain und den wenigen Zuschauern um, die bis zum Ende ausgeharrt hatten, und hob den Arm zu einem stummen Salut.
    Und dann gab das Gefüge des Siriandeichs nach, und ein gewaltiges Brüllen schwemmte alle Gedanken und Sinneseindrücke fort. Der Riss hatte sich weit unten im Damm gebildet, und er zerbrach von dort aus. Felsbrocken flogen umher, Wasserkaskaden schossen in die Luft. Dunstschwaden ballten sich zu Wolken, und der Fluss, zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrhundert von allen Fesseln befreit, schwemmte Pferde und Inkallim hinweg und raste in einer tosenden Flut Glasbridge und dem Meer entgegen.



WENIGE LEGENDEN ERZÄHLEN heute von jenen Tagen, da Huanin und Kyrinin, Whreinin und Saolin die Welt noch nicht bevölkerten und allein die Eine Rasse über das Antlitz der Erde wandelte, lange bevor sie sich gegen die Götter erhob und vernichtet wurde. Eine Geschichte, an die man sich mancherorts noch erinnert, ist die, wie das Dihrvetal den Beinamen Tal der Tränen erhielt.
    Harigaig besaß eine prächtige Viehherde an der Mündung des Dihrveflusses. Eines Tages hütete eine seiner Töchter die Rinder, als sie nahe dem Ufer weideten. Die Sonne schien warm, und die Stimme des Flusses sang sie in den Schlaf. Da erhob sich aus den Fluten Dunkane, ein Feind von Harigaig, der im Norden lebte. Er war dem Flusslauf von seiner Quelle im Hochgebirge aus gefolgt und heimlich bis ins Herz von Harigaigs Ländereien vorgedrungen. Und er hatte dem Wasser seine besänftigende Stimme geliehen.
    Dunkane stahl die Herde und trieb sie in den Norden. Als Harigaig gewahr wurde, was geschehen war, nahm er seine Keule und seinen Stab und brach auf, um den Dieb zu verfolgen. Dunkane hatte seine Spuren gut verwischt, aber Harigaig kannte viele Zaubersprüche, denn er war als Kind mit den Jägern des Wildlings umhergezogen. Er sprach zu den Felsen und den Bäumen und dem Wasser, und sie verrieten ihm, welchen Weg der Feind genommen hatte. Auf diese Weise fand Harigaig seine Herde, eingeschlossen in einem Tal des Tan Dihrin, wo Dunkane sich an den Rindern gütlich tat. Als die beiden Feinde einander entdeckten, verwandelten sie sich in Riesen, die mit ihren Füßen Felblöcke spalteten und Klippen zerbrachen. Einen Tag und eine Nacht lang kämpften sie auf den Bergeshöhen, bis Harigaig im Morgengrauen des zweiten Tages Dunkane mit seiner Keule den Schädel einschlug. Er befreite seine Rinder und machte sich auf den Heimweg in den Süden, aber er war schwer verwundet, und das Leben floh aus seinem Leib.
    Nun war ihm aber sein Weib mit den drei Töchtern gefolgt, die dereinst den Torwächter freien sollten, und sie hoben ihn auf und trugen ihn nach Süden, über das Gebirge und das Tal entlang, und auf dem Wege dorthin weinten sie, denn sie sahen, dass er das Leben nicht festhalten konnte. Als sie das Meer erreichten, war Harigaig bereits tot. Sie brachten seinen Leichnam zu einer Landspitze und warfen ihn in die Wogen, wo er sich in ein Felseneiland verwandelte – genannt Il Dromnone, was in einer längst vergessenen Sprache, die nur noch wenige Geschichtenerzähler verstehen, Insel der Trauer bedeutet. Die vielen Tränen aber, die Harigaigs Weib und seine Töchter um ihn vergossen, füllten das Dihrvetal, in dem es bis zum heutigen Tag eine Vielzahl von Seen und Weihern gibt, und verhalfen ihm zu seinem wahren Namen .
    Aus: Erste Legenden,
    übertragen von Quenquane dem Schlichten
    I
    Auf einem Hügel im Herzen von Kolkyre erhob sich, eingefasst von einem zinnenbewehrten Ringwall, der Turm der Throne. Der trostlose graue Steinbau beherrschte die Stadt, die sich zu seinen Füßen ausbreitete. Seit zweihundertfünfzig Jahren war er die Residenz der Kilkry-Thane. Von seinen Gemächern und Ratssälen aus hatten sie lange Zeit über alle anderen Geschlechter regiert. Auch als sich die Macht nach Vaymouth verlagerte, behielt der Turm

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