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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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Stadt und die Burg bewachten. Mehr als tausend Mann belagerten immer noch Tanwrye, zusammen mit einigen hundert Angehörigen anderer Häuser des Schwarzen Pfads. Sie konnten ihr erst zu Hilfe kommen, wenn der hartnäckige Widerstand dieser Garnisonsstadt gebrochen war. Sie konnte also der Bedrohung von Glasbridge her bestenfalls tausend Schwerter entgegensetzen, dazu Shraeves Krieger-Inkallim, von denen noch etwa fünfzig am Leben waren. Wenn Ragnor oc Gyre ihren Bitten um Unterstützung nachgekommen wäre, wenn er nur einen Bruchteil seines Heers in den Süden entsandt hätte … aber für die Gläubigen des Schwarzen Pfads durfte es solche Überlegungen nicht geben.
    »Wir können sie hier ebenso gut wie anderswo empfangen«, erklärte sie. »Wenn wir uns in Anduran verschanzen, zögern wir alles nur so lange hinaus, bis sie genügend Verstärkung erhalten haben, um uns dort zu vernichten.«
    »Der Ansicht bin ich auch.« Shraeve beugte sich vor und senkte die Stimme. »Aber möglicherweise wird es gar keine Vernichtungsschlacht. Hungert Euer Herz nicht danach, Glasbridge zu erobern? Es ist die letzte große Bastion des Hauses Lannis-Haig. Wenn uns diese Stadt in die Hände fällt, werfen wir sie bis nach Kolglas zurück. Dann gehört uns das ganze Gebiet vom Tal der Steine bis zum Meer.«
    »Natürlich hungert mein Herz danach. Glasbridge war schließlich die Heimat meiner Vorfahren.«
    Shraeve ließ sich zurücksinken. »Wenn sich ein paar Freiwillige opfern, lässt sich dieser Hunger vielleicht stillen.«
    Wain seufzte. »Heraus damit, Shraeve, was immer Ihr im Sinn habt! Mir knurrt der Magen, und Ihr redet um den heißen Brei herum.«

    Die Inkallim trieben die vier robusten Pferde an der Herberge vorbei. Die Tiere waren kräftig, aber verdreckt und eingeschüchtert durch die Gerten, mit denen die Raben auf sie einschlugen. Wain beobachtete weniger die Tiere als ihre eigenen Krieger, die schweigend dastanden und die seltsame Prozession musterten. Wo immer die Raben diese Gäule aufgetrieben hatten – vermutlich in einem Gehöft außerhalb von Siriandeich –, sie verstanden sich darauf, ihren Einzug zu einem großen Auftritt zu gestalten. Sie scheuchten die Pferde mitten durch das Dorf, vorbei an den Kämpfern des Schwarzen Pfads, die sie mit neugierigen Blicken verfolgten. Ketten, die aus der Schmiede neben dem Wirtshaus stammten, schleiften hinter den Tieren her und zerfurchten die aufgeweichte Straße.
    Eine schaulustige Menge folgte den Inkallim und ihren Pferden bis zum Rand des Dorfes. Die Inkallim zogen weiter zu den Sümpfen am Fuß des Deichs selbst. Shraeve trat neben Wain.
    »Daran werden sich die Unsrigen bis ans Ende ihrer Tage erinnern«, murmelte Shraeve.
    Wain gab keine Antwort. Sie wusste, was Shraeve eigentlich sagen wollte. Alle Krieger, die dieses Schauspiel beobachteten, sollten sich daran erinnern, dass es die Inkallim waren, die diese Heldentat vollbracht hatten. Ihr Werk würde dereinst ein leuchtendes Symbol des Glaubens sein, eine weitere Legende des Mythenschatzes, der von den Kindern der Hundert handelte.
    Draußen, wo das Erdreich besonders morastig war, wo Schleusen und Rohre das Wasser über und durch den gigantischen Damm in den wiedergeborenen Fluss speisten, kehrte ein Teil der Inkallim um. Nur sechs von ihnen blieben bei den unruhigen Pferden. Einer der Männer erklomm die Dammkrone und spähte nach Norden. Der Wind zerrte an seinen langen schwarzen Haaren. Wain konnte sich vorstellen, was er sah – eine träge Wasserebene unter wolkenverhangenem Himmel und vielleicht weit draußen, am Rand seines Blickfelds, die stolz aus dem See ragenden Ruinen von Kan Avor. Mit einem zufriedenen Nicken stieg er wieder hinunter zu den Pferden, und die große Aufgabe begann.
    Die Inkallim entfernten mit Schaufeln und Spitzhacken die Grassoden und das Erdreich von der Böschung des Damms. Sie befestigten Ketten an den mächtigen Stempen, die den Deich stützten, und peitschten auf die Pferde ein, bis diese mit aller Kraft an den Pfählen zerrten und sie niederzureißen versuchten. Nach einiger Zeit wurde es den Zuschauern langweilig. Die meisten kehrten ins Dorf zurück. Die Pferde rackerten weiter, unerbittlich angetrieben von den Inkallim. Zerbrochene Holzpflöcke und Steine lagen am Fuß des Damms verstreut. Rinnsale bahnten sich einen Weg in die Tiefe, bis die Raben bis zu den Knien im Wasser standen. Es verging eine geraume Zeit.
    Das Geräusch setzte leise ein und steigerte sich –

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