Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
Vom Netzwerk:
Alter erlangen, und trug ihre Jahre mit großer Anmut.
    »Ich bin es nicht gewohnt, von der Gemahlin eines Thans umsorgt zu werden«, sagte er, während er eines der Kuchenstücke nahm. Sie lächelte. In ihren Augen stand Mitleid, und eine wunderbare Sanftmut strahlte aus ihren Zügen. Taim kannte Lheanor und Ilessa seit vielen Jahren, und er wusste, dass die Gefühle der beiden für ihn ebenso wie für Croesan und die anderen echt und stark waren. So stark, dass sie selbst den eigenen grenzenlosen Kummer überlagerten.
    »Und ich bin es nicht gewohnt, die Zofe zu spielen«, meinte Ilessa, »aber ich wollte nicht, dass jemand erfährt, wohin Ihr Euch zurückgezogen hattet. Ihr seid ein gefragter Gesprächspartner. Der Steward des Hoch-Thans hat sich bereits nach Euch erkundigt. Er scheint Euch eine Menge Fragen stellen zu wollen.«
    Taim verzog das Gesicht. »Lagair kann warten. Ich habe nicht die Kraft, mich mit einem von Gryvans Sprachrohren herumzustreiten. Am Ende äußere ich noch Worte, die ich später bereue.«
    »Ich behauptete, nicht zu wissen, wo Ihr seid«, erklärte Ilessa. Sie stellte das Tablett ab und strich sich das Kleid glatt.
    »Offen gestanden weiß ich selbst nicht recht, wo ich bin«, murmelte Taim.
    »Wie lange bleibt Ihr? Ich war heute Vormittag bei Euren Männern. Sie wirken erschöpft.«
    Am liebsten hätte sich Taim für längere Zeit in dieses hohe, enge Gemach zurückgezogen, allein mit dem Himmel, dem Wind und den Möwen. Aber das Pflichtgefühl des Kriegers setzte sich durch.
    »Nur einen Tag oder zwei, Mylady«, sagte er mit einem beinahe entschuldigenden Lächeln. »Ihr wisst, dass ich weiter nach Glasbridge muss. Was immer aus mir und meinen Männern wird, wir können nicht ausruhen. Noch nicht.«
    II
    Anyara spähte nach draußen und starrte in erwartungsvolle Augenpaare. Eine Schar Kyrinin-Kinder hatte sich vor der Hütte versammelt. Sie sahen sanft, blass und harmlos aus. Die Kleinsten versteckten sich rasch hinter ihren älteren Spielgefährten, als ihr zerzauster Kopf erschien. Während Anyara auf die Holzplanken hinaustrat, sich streckte und reckte, um den Schlaf aus den Gliedern zu schütteln, wichen sie zurück und drängten sich dann erneut zu einer Gruppe zusammen. Hinter ihnen paddelte eine Frau in einem kleinen Rundboot aus straff gespannten Tierhäuten vorbei. Anyara sah zu, wie der Kahn mühelos den Schilfgürtel entlang glitt. Ein Schwarm winziger Vögel stob aus dem Ried hoch und schwirrte laut tschilpend davon. Der See war spiegelglatt. Nebelfetzen hingen über dem Wasser und verschleierten die entfernten Ufer. Die Szene hatte etwas unheimlich Stilles und Schönes an sich.
    Anyara hatte nicht gewusst, was sie von dem Vo’an halten sollte. Jetzt, nach einer unruhig verbrachten Nacht, war sie immer noch unsicher. Sie kannte die Geschichten, die man sich über die Kyrinin erzählte. Dass bei ihnen Tag und Nacht große Feuer brannten. Dass ihre Kinder, anstatt zu spielen, den Umgang mit dem Speer erlernten und das Bogenschießen übten. Dass die alten Frauen der Gemeinschaft das Fleisch der Toten verzehrten. Sie war versucht, in der Hütte zu bleiben, die man ihnen zugewiesen hatte, und sich vor den fremdartigen Lauten, Gerüchen und Bildern zu verstecken. Dies waren schließlich Kyrinin, ein Volk, das im Lauf der Zeit immer wieder Angehörige ihrer Rasse getötet hatte. Aber eine tief in ihr verwurzelte Überzeugung lautete, dass man sich Angst ebenso wie Kummer oder Schmerz untertan machen musste, ehe man von ihnen überwältigt wurde. Weder Orisian noch Yvane – die schon gar nicht – sollten denken, dass dieses Lager sie beunruhigte. Und so schlenderte sie allein und mit hoch erhobenem Kopf durch das Vo’an und zwang sich, alle Sinneseindrücke aufzunehmen. Die Kinderschar folgte ihr schweigend.
    Sie sah eine junge Frau, etwa in ihrem Alter – obwohl das schwer abzuschätzen war –, die mit einem Messer aus Bein geschickt Fische ausnahm. Zwei Männer, barfuß und auf ihre Speere gestützt, beobachteten sie, als sie vorbeiging. Die blauen Spiralmuster auf ihren Gesichtern verbargen, was sie dachten. Sie hörte melodische Stimmen und von irgendwo weiter weg das lässige Schlagen einer Trommel. Der Rauch von kleinen Kochfeuern stieg ihr in die Nase, Bratenduft und der kräftige Geruch von Tierhäuten, die über viele der Hütten gespannt waren.
    Abgesehen von der ernsthaften Kinderschar schenkte ihr kaum jemand besondere Beachtung. Sie fühlte sich nicht bedroht,

Weitere Kostenlose Bücher