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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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aber auch nicht völlig sicher. Sie konnte den Ort nicht deuten, wie sie aufgrund ihrer Herkunft und Zugehörigkeit Kolglas oder Anduran deuten konnte, ja selbst Kolkyre, das sie nur wenige Male besucht hatte. Die Kyrinin wussten ebenso wie sie, dass sie hier fehl am Platz war. Sie verstummten, wenn sie nahe genug kam, um ihre Worte zu hören, auch wenn sie nichts von dem Gesagten verstanden hätte. Die Gleichgültigkeit ihr gegenüber war ebenso bewusst und beabsichtigt, wie es forschende Blicke gewesen wären.
    So empfand sie eine gewisse Erleichterung, als sie das Ende der Siedlung erreichte. Sie verließ die ans Ufer grenzende Plattform und schlenderte ein wenig am See entlang. Die Kinder hatten die Verfolgung aufgegeben. Hohes Schilf ragte aus dem seichten Wasser auf und verstellte ihr, als das Ufer eine leichte Biegung machte, den Blick auf das Vo’an . Wären nicht hier und da Rauchsäulen in den blassen Himmel aufgestiegen, hätte sie sich einbilden können, völlig allein in der unberührten Natur zu sein. Sie fand eine Stelle, wo das Schilf ein wenig zurückwich, setzte sich auf einen Felsblock und starrte über die vollkommen glatte Wasserfläche hinweg.
    Noch während sie dasaß, teilte sich der dünne Morgennebel und gab den Blick auf die hohen Gipfel des Car Dine im Norden frei. Jetzt endlich spürte sie, dass sie sich in einem Grenzreich befand, gefangen zwischen zwei Welten. Hinter dem Car Criagar, aus dem sie gekommen war, lag die Wirklichkeit, die Welt der Städte und Märkte und Menschen. Auf der Gegenseite, jenseits des Car Dine, erwartete sie etwas völlig anderes: die furchterregenden Kyrinin vom Stamm des Großen Bären; Din Sive, der von Schatten durchdrungene älteste Wald der Welt; und zu guter Letzt der Tan Dihrin, der das Dach des Himmels berührte. Zwischen diesem stillen See und dem Kap der Schiffbrüchigen, das ungezählte Tagesreisen im Norden lag, gab es vielleicht kein einziges Dorf oder Gehöft, in dem Menschen wohnten. Sie kam sich plötzlich inmitten dieser Weite von Land und Himmel entsetzlich klein und schwach vor.
    So ähnlich hatte sie sich fünf Jahre zuvor gefühlt, als sie aus dem Griff des Fiebers freikam und in eine Welt zurückkehrte, in der sie vergeblich nach ihrer Mutter und ihrem älteren Bruder suchte. Monatelang war sie zwischen dem quälenden Fieberschlaf und einer trostlosen Zukunft gefangen gewesen. Sie überwand das Gefühl schließlich, ebenso wie den Kummer, der sie fast zerbrochen hätte. Nun wurde ihre Kraft erneut auf die Probe gestellt. Sie musste durchhalten, nicht nur für sich selbst. Auch beim ersten Mal hatte sie nicht für sich allein gekämpft. Schon damals, als das Fieber nachließ, hatte ihre Sorge zu einem großen Teil Orisian gegolten.
    Geschmeidig erhob sie sich. Aus einem Impuls heraus hob sie einen Kiesel auf, schleuderte ihn weit ins Wasser hinaus und beobachtete die Wellen, die sich ringförmig von der Stelle ausbreiteten, wo er untergetaucht war. Dann kehrte sie zum Vo’an zurück.

    Orisian und Rothe saßen am Rand der Plattform vor der Hütte und ließen die nackten Füße über dem Wasser baumeln. Das wirkte so unpassend – der vermutliche Than eines der Wahren Geschlechter und sein Schildmann, die sich mitten in einem Kyrinin-Lager benahmen, als säßen sie an der Kaimauer in Kolglas –, dass Anyara beinahe laut gelacht hätte.
    »Was gibt es?«, fragte sie.
    »Nichts«, erklärte Orisian. »Varryn schaute kurz vorbei, aber er begab sich gleich wieder zu Ess’yr, wo immer sie sein mag. Wir warten auf irgendeine Nachricht.«
    »Wo ist Yvane?«
    »Auf eigene Faust losgezogen«, knurrte Rothe. »Sagte nicht, wohin sie wollte.«
    Orisian fingerte an einem Holzsplitter herum, der von einer der rissigen Planken abstand. »Sie kommt sicher bald zurück«, meinte er.
    »Wir bringen ihr viel Vertrauen entgegen, obwohl wir sie kaum kennen«, stellte Anyara fest.
    »So ist es«, pflichtete Rothe ihr bei. »Ihr und den Kyrinin.« Für Anyaras scharfes Ohr klang das wie eine Beschwerde, die er mehr aus Gewohnheit denn aus Überzeugung vorbrachte. Und ihr fiel auf, dass er die Kyrinin nicht Waldelfen genannt hatte.
    Orisian blieb gelassen. »Nun, immerhin hat uns Inurian zu ihr geschickt. Ich habe immer auf ihn gehört und werde daran nichts ändern.« Er schaute seine Schwester an. »Außerdem bleibt uns gar nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen. Wir brauchen hier draußen in der Wildnis Hilfe. Ganz allein auf uns gestellt, wären wir

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