Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
einem Ziel angelangt zu sein, das man sein Leben lang angesteuert hat, ohne es zu wissen. Anduran blüht und gedeiht, und mein Enkel schläft droben in der Burg. Ich sehe die Zukunft durch seine Augen. Er wird eines Tages hier sitzen, umgeben von seinem Volk und seinen eigenen Kindern. Heute Abend zumindest vermag ich mir einzureden, dass meine Arbeit getan ist.«
»Morgen sieht das wieder anders aus«, meinte Eilan trocken.
»Allerdings.« Einen Augenblick lang überschattete der Alltag seine Freude, und Croesan seufzte. Dann wandte er sich an Naradin. »Deine Mutter wäre stolz auf dich gewesen.«
»Und auf dich«, erwiderte der Titelerbe mit ernster Miene. Naradin hatte seine Mutter nie gekannt – sie war bei seiner Geburt gestorben.
Croesan zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur meine Pflicht erfüllt«, wehrte er ab. Dann kehrte das Lächeln auf seine Züge zurück. »Und wenn ich mir nun einbilde, dass mein Beitrag geleistet ist, so gilt das noch lange nicht für euch beide.«
Eilan sah ihn mit fragend hochgezogenen Augenbrauen an.
»Als Nächstes wünsche ich mir eine Enkeltochter«, fuhr Croesan fort. »Und dabei soll es nicht bleiben. Ich möchte während meines Lebensabends von einer Schar wilder Kinder geplagt werden, die mich am Bart zupfen, mein Mittagsschläfchen mit lautem Lachen stören und sich zunutze machen, dass ich nicht mehr so gut sehe. Das wäre mein allergrößtes Glück.«
Eilan lachte, während Naradin in gespieltem Entsetzen die Hände hob.
»Aber du gestattest hoffentlich, dass wir uns erst von den Strapazen der ersten Geburt erholen«, protestierte er.
Dafür erntete er einen saftigen Rippenstoß von seiner Gemahlin.
»Wir?«, fragte sie. »Wovon musst du dich erholen? Die Strapazen hatte in erster Linie ich, wenn ich mich recht entsinne.«
»Sachte, sachte«, ermahnte der Than. »Ihr sollt euch nicht zanken!«
Er ließ die Blicke noch einmal durch die Halle schweifen und nickte zufrieden.
»Damit sind meine Bauvorhaben noch nicht beendet«, erklärte er. »Ich habe die Absicht, euch beiden ein Geschenk zu machen. Ein Haus, geeignet für die Familie des künftigen Thans, in dem ihr die warme Jahreszeit verbringen könnt. Nein, lasst einem alten Mann seinen Willen! Ihr bekommt einen prächtigen Sommersitz in Grive, nahe genug, damit ich euch besuchen kann, wenn die Last der Jahre zu schwer wiegt und ich einige Tage Erholung von Anduran brauche. Wir lassen Gärten anlegen, in denen eure Kinder spielen können, dazu Ställe und Zwinger für eure Pferde und Jagdhunde.«
»Ein wunderbarer Vorschlag!«, rief Naradin. »Ich danke dir.«
Eilan umarmte und küsste den Than noch einmal. Er lächelte zufrieden und strich ihr über das feine Haar.
»Dürfte ich meinen Sohn kurz allein sprechen, Eilan? Vielleicht kannst du dich um unsere Gäste draußen kümmern. Ich bin sicher, dass ihnen deine Gesellschaft ohnehin lieber ist als die meine.«
Als die Gemahlin des Titelerben die Halle verließ, brandeten draußen erneut Hochrufe auf.
»Das Volk liebt sie fast so sehr wie du oder ich«, stellte Croesan fest.
»Niemals so sehr wie ich«, widersprach Naradin. »Aber am heutigen Tag würden die Leute sogar einem aufgeputzten Esel Beifall klatschen. Es war ein gutes Jahr, und das wollen sie feiern.«
Croesan nickte. »Das beste Jahr seit langem. Es gibt nur einen Schatten, der meine Stimmung trübt. Mich schmerzt es in der Seele, dass Taim Narran nicht hier ist, um dies alles mit uns zu teilen. Ohne ihn wird dem Fest der Winterwende etwas fehlen. Ich hätte nicht zulassen sollen, dass er in den Süden zog.«
»Wie hättest du das verhindern sollen?«, fragte sein Sohn. »Du konntest dich dem unmittelbaren Befehl des Hoch-Thans in einer solchen Angelegenheit kaum widersetzen. Wir haben die Möglichkeit, Einspruch zu erheben, wenn es um Abgaben und Steuern oder um das Ansiedeln seiner Krieger auf unseren Ländereien geht, aber ein Ruf an die Waffen ist etwas anderes. Und Taim hätte seine Männer nie allein ins Feld ziehen lassen. Du kennst ihn.«
»Besser, als er sich selbst kennt. Er ist längst kriegsmüde, auch wenn er sich das aus Loyalität mir gegenüber nicht eingestehen will. Dieses Blutvergießen im Kampf gegen Dargannan-Haig muss ihn schwer belastet haben.«
»Ein Strich mehr auf der Liste von Gryvan oc Haigs Verfehlungen«, murmelte Naradin.
Croesan fuhr mit der Hand über die Armlehne des Thronsessels und sah seinen Sohn an. »Du sagst es. Eine von vielen
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