Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Heiterkeit mehr hervorrief. An diesem Tag, da alle Burgbewohner mit den Vorbereitungen für das Fest der Winterwende beschäftigt waren, kümmerte sich jedoch kaum jemand um die beiden ungleichen Kämpfer. Eine Ausnahme machte Kylane, der über den Hof geschlendert kam und eine Weile neben ihnen stehen blieb. Seine Gegenwart lenkte Orisian ab, und Rothes Schwert hieb ihm so heftig über den Handrücken, dass die Knöchel krachten. Kylane lachte leise und trollte sich mit einem Kopfschütteln. Vielleicht, dachte Orisian, hadert er jetzt schon mit seinem Geschick, das ihm in Bälde einen so ungelenken Schützling bescheren wird.
Am Ende saß Orisian schwer atmend auf dem Kopfsteinpflaster und massierte seine Schwerthand.
»Aus Euch wird schon noch ein tüchtiger Schwertkämpfer«, knurrte Rothe anerkennend.
»Wenn mir nicht vorher der Arm abfällt«, entgegnete Orisian.
Rothe streckte ihm die breite Hand entgegen. Als Orisian sie umklammerte und sich hochzog, spürte er die harten Schwielen und Narben auf der Haut des Kriegers. Rothe hatte fast sein ganzes Leben mit dem Schwert in der Hand verbracht, ob im Kampf gegen die Kyrinin in Anlane oder die Stoßtrupps des Schwarzen Pfads im Tal der Steine, und er war geprägt von dieser Waffe. Er hatte nie geheiratet und eine Familie gegründet. Wenn Rothe außer Hörweite war, sagte Kylane manchmal, sein Schwert wache eifersüchtig darüber, dass nichts und niemand sie trenne. Orisian hätte niemals ein solches Leben führen mögen, aber Rothe schien seinen Entschluss nie bereut zu haben.
»Welchen Beruf hättest du erwählt, wenn du nicht Soldat geworden wärst, Rothe?«, fragte er aus einem Impuls heraus.
Der Anflug eines Lächeln umspielte die Lippen des Hünen, und er hob ein wenig unbeholfen die Schultern.
»Es gibt sicher andere Dinge von Wert«, meinte er, »aber von denen verstehe ich zu wenig. Wie könnte ich sagen, ich möchte lieber dies oder jenes tun, wenn ich nur die eine Sache kenne?«
Am späten Nachmittag des gleichen Tages erblickte Orisian von einem Fenster hoch droben im Wohnturm aus eine seltsame Szene. Die Akrobaten, die beim Festbankett ihre Künste vorführen sollten, strömten durch die Tore in den Burghof, kräftige Gestalten, die ihren Körperbau noch durch zottelige Pelzjacken und -umhänge, Lederstiefel und lange Hosen unterstrichen. Während die meisten von ihnen nur einen kleinen Packen auf der Schulter trugen, kamen ganz zuletzt einige, die Truhen, Fässer und Tücher schleppten, dazu zwei lange dicke Stangen, die so aussahen, als habe man sie eben erst geschnitten.
Die Truppe bestand aus etwa einem Dutzend Menschen. Orisian hatte noch nie so viele Herrenlose auf einem Haufen gesehen. Alle trugen lange, in exotischen Rost- und Goldtönen gefärbte Haare, das sie im Nacken zusammengebunden hatten. Und sie bewegten sich trotz ihrer kraftvollen Körper beinahe schwerelos. Als Orisian genauer hinschaute, bemerkte er, dass sich etliche Frauen unter ihnen befanden, etwas kleiner und zierlicher als die Männer, aber ebenso wie diese gekleidet und nicht weniger robust wirkend.
Anyara drückte sich in der Nähe des Eingangs am Fuß des Wohnturms herum und beobachtete die Neuankömmlinge mit unverhohlener Faszination.
»Sie sind … Kolosse, findest du nicht auch?«, sagte sie.
»Doch, ja. Und sie sehen alle gleich aus.«
»Nun, vielleicht sind sie miteinander verwandt.« Anyara lächelte mit feinem Spott. »Du weißt ja, was man sich über die Heiratsgewohnheiten der Herrenlosen erzählt. Dennoch, ich finde sie gut gebaut.«
Einige Gardesoldaten der Burg hatten sich vor ihren Unterkünften versammelt. Gedämpftes Gelächter hier und da deutete darauf hin, dass sie ihre Zoten über die weiblichen Neuankömmlinge rissen, aber keiner der Akrobaten warf auch nur einen Blick in ihre Richtung. Sie breiteten schweigend ihre Arbeitsgeräte auf dem Kopfsteinpflaster aus und überprüften es mit geübten Handgriffen.
»Bei so vielen Leuten wird das sicher eine großartige Vorführung«, meinte Orisian. »Wo werden sie denn auftreten?«
»Ilain sagt, sie wollen zunächst ein paar Kunststücke in der Großen Halle zeigen und sich dann später hierher in den Hof begeben.«
»Hast du eine Ahnung, woher sie kommen? Vermutlich aus der Umgebung von Koldihrve, weil es so viele sind, oder?«
Anyara zuckte mit den Schultern. »Vielleicht auch von irgendwo an der Kilkry-Küste. Dort soll es noch einige Dörfer der Herrenlosen geben.«
Während sie noch
Weitere Kostenlose Bücher