Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
Vom Netzwerk:
Selbstsicherheit. Obwohl er bereits zweimal in der Hauptstadt der Wahren Geschlechter gewesen war, nahmen ihm die Weitläufigkeit und brodelnde Überfülle die Orientierung.
    Fremdartige Gerüche und Laute überfielen seine Sinne: Gewürze und Kräuter, die er nicht kannte; Musik, gespielt auf Instrumenten, die es im Norden nicht gab; hier und dort fremde Zungen – der seltsame Dialekt der Händler aus Tal Dyre oder die rau klingenden alten Formen seiner eigenen Sprache, die sich in abgelegenen Teilen des Ayth-Haig-Gebiets erhalten hatten. Von allen Seiten wurde er gestoßen und angerempelt, wusste jedoch, dass es wenig Sinn hatte, sich zu beschweren.
    Taim konnte es kaum fassen, dass auf den Straßen das Leben in all seiner quirligen Vielfalt weiterging, dass hier ganz gewöhnlicher Alltag herrschte, während seine eigene Welt ins Wanken geraten war, in ihren Fundamenten erschüttert durch Mordyn Jerains Neuigkeiten. Weit weg an der Nordgrenze seiner Heimat fielen vermutlich Kämpfer – Krieger, die er aus seiner eigenen Zeit in der Garnison von Tanwrye gut kannte. Hier verhökerten die Händler ihre Waren, und die Bürger gingen wie gewohnt ihren Geschäften nach. Plötzlich empfand er Ekel vor den Menschen, die ihn umdrängten.
    Die Kaserne selbst lag im Zentrum der Stadt. Es war ein langer Fußmarsch. Schließlich tauchte hinter fernen Dächern der mit Altanen und Ecktürmen verzierte Mondpalast auf, in dem Gryvan oc Haig mit seiner Familie lebte und herrschte. Nach einer letzten Biegung verebbte das hektische Gewimmel ein wenig, und die Straße öffnete sich zu einem weiten Karree, begrenzt von den schmucklosen, gedrungenen Kasernengebäuden der Stadt. Auf dem freien Platz davor führten Jongleure und Taschenspieler einem dankbaren Publikum ihre Kunststücke vor. Zu den Gauklern gehörte auch ein Feuertänzer im bunten Harlekingewand; seine olivfarbene Haut ließ darauf schließen, dass er von den Knochen-Inseln des Dornach-Reichs stammte. Unter seinen Zuschauern befand sich ein kleiner, hagerer Mann, der hierhin und dorthin wirbelte oder mit wehenden Lumpen von einem Bein auf das andere hüpfte.
    »Sie haben uns nicht verlassen!«, schrie er zum Himmel empor. »Das ist eine Lüge. Ich sah sie mit eigenen Augen. Sie wachen immer noch über uns. Ich begegnete dem Torwächter auf einer Straße in Drandar. Dem Schöpfer! Ich streifte durch die Verhüllten Wälder und erblickte dort den Wildling, der einen Hirsch erlegt hatte und nun verspeiste.«
    Ein Verrückter, dachte Taim. Für solche Worte hätte ihm einst das Beil des Scharfrichters gedroht. Monach oc Kilkry hatte nicht das geringste Erbarmen gekannt, als das Fischerweib von Kilvale den Glauben vom Schwarzen Pfad in die Welt setzte. Überzeugt davon, dass solch ketzerische Lehren nur Elend und Chaos bringen konnten, war er unerbittlich geblieben, selbst als sich der Zwist zu einem Bürgerkrieg ausweitete. Aber nun beachtete kein Mensch den einsamen Rufer. Niemand kümmerte sich um solche Reden weder hier noch in der Residenzstadt von Gryvan. Einst war die Stärkung von Stabilität und Ordnung die einzige Aufgabe der Than-Geschlechter gewesen. Man hatte sie schließlich als Antwort auf die Wirren der Sturmjahre nach dem Untergang des Aygll-Königreichs gegründet. Mittlerweile, so schien es Taim, dienten sie einem anderen Zweck – sie sollten die Pläne des Hauses Haig unterstützen.
    Taim passierte das Tor zu den Kasernengebäuden, ohne auf die missbilligenden Blicke der Wachtposten zu achten. Er fand seine Männer im entferntesten Winkel des weitläufigen Labyrinths aus Unterkünften, Höfen und Arsenalen. Und mit einem Mal erschien ihm die Bürde seiner Verantwortung, die Last der schlechten Nachrichten, die er mitbrachte, unerträglich schwer. Er sah die Erschöpfung in den Augen und in der Haltung seiner Männer. Ihre Kleidung war von dem langen Marsch verdreckt und zerrissen. Ganz am Ende der Halle lagen die Kranken und Verwundeten auf Strohsäcken. Er konnte ihnen weder die Rast noch die Bequemlichkeit bieten, die sie alle verdienten. Ganz im Gegenteil: Er musste sie auf den langen Heimweg vorbereiten und auf einen Kampf, der vielleicht noch härter wurde als die Schlacht, die hinter ihnen lag.
    Es war am Ende weniger schwer, als er gedacht hatte. Taim konnte stolz auf die grimmige Entschlossenheit seiner Krieger sein, aber trotz seiner Müdigkeit tat er in dieser Nacht fast kein Auge zu.
    II
    Anyaras Zelle in Anduran war kalt und unbehaglich. Sie

Weitere Kostenlose Bücher