Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
lösen. Auf seltsam losgelöste Weise merkte er, dass er diese Armlehne plötzlich heftig umklammerte. Wieder umwehte ihn der schwere, süße Duft, den er in den Gängen wahrgenommen hatte und der ihn ein wenig an Gewürznelken erinnerte.
»Noch wissen wir nichts Genaues«, fuhr der Kanzler fort, »obwohl festzustehen scheint, dass die Burg niedergebrannt wurde und die Angreifer in den Wald entkamen.«
»Kennet?«, fragte Tain. Er hätte gern geglaubt, dass Mordyn ihm Lügen erzählte. Aber er konnte sich keinen Grund für eine solche Täuschung vorstellen.
»Ich habe keine Ahnung. Ich erwarte jeden Moment die Ankunft weiterer Boten. Der erste wusste nur das, was ich Euch eben berichtete.«
»Das ist unmöglich. Nie und nimmer konnten sie Kolglas unbemerkt erreichen. Was ist mit Tanwrye und Anduran?«
Zum ersten Mal schimmerte einen Herzschlag lang der Hauch eines Zweifels in Mordyns Augenwinkeln, aber gleich darauf erlosch er wieder.
»Es hieß, dass Kyrinin an dem Angriff beteiligt waren«, sagte er. »Gewiss, das klingt absurd, und man sollte solchen wilden Gerüchten keinen Glauben schenken, aber wenn die Waldelfen den Kriegern des Schwarzen Pfads tatsächlich halfen, dann wäre das eine Erklärung für das Unerklärliche.«
Taim fand keine Worte. Er schüttelte nur den Kopf.
»Ich fürchte, wir müssen uns auf noch Schlimmeres gefasst machen«, setzte Mordyn hinzu. »Die Gyre-Stämme würden die Inkallim kaum so weit über die Grenze schicken – und in so großer Zahl, dass sie eine Burg einnehmen können –, wenn sie damit nicht einen größeren Plan verfolgten. Wahrscheinlich beabsichtigen sie, das ganze Tal zu besetzen. Bald – wenn sie damit nicht bereits begonnen haben.«
Taim warf dem Kanzler einen wütenden Blick zu. Mordyn zuckte ungerührt mit den Schultern. »Ich spreche die Wahrheit, Taim. Ihr wisst selbst, dass die Inkallim sich nicht mit leeren Drohgebärden abgeben.«
»Was …« Taim kämpfte gegen eine Flut von Gefühlen an, die ihm die Kehle zuschnürten. »Was gedenkt Ihr zu tun?«
Mordyn zog die Augenbrauen hoch. »Ich? Mir bleibt keine andere Wahl, als auf die Rückkehr des Hoch-Thans zu warten. Ich entsandte Boten in den Süden, sobald ich von den Ereignissen erfuhr. Ihr seid ihnen vermutlich unterwegs begegnet.«
»Warten?«, fragte Taim scharf.
»Natürlich werden wir so schnell wie möglich eine Streitmacht zusammenstellen. Aber selbst wenn wir ein voll ausgerüstetes Heer marschbereit hätten, würde es drei Wochen oder länger dauern, ehe es Anduran erreicht. Das hieße mitten im Winter kämpfen, und wenn wir das tun, müssen wir in voller Stärke antreten, um sicherzugehen, dass wir einen raschen Sieg erringen.«
»Lheanor wird nicht warten«, warf Taim grimmig ein.
»Ich nehme an, der Than von Kilkry-Haig wird tun, was ihm sein Herrscher befiehlt.«
»Er wird nicht warten«, wiederholte Taim. »Er ist ein Freund des Hauses Lannis-Haig.«
»Taim, Taim«, entgegnete der Kanzler, »der wahre Freund Eures Hauses ist jetzt Gryvan oc Haig. Er kann Croesan mit zwanzig- bis dreißigtausend Mann zu Hilfe kommen. Ja, das braucht seine Zeit, aber das Geschlecht Gyre wird seinen Ehrgeiz bereuen.«
»Was mit Gyre geschieht, ist mir gleichgültig«, murmelte Taim. »Mir geht es nur um Lannis … Lannis-Haig … und meinen Than.«
»Natürlich«, stimmte der Kanzler zu. »Ich verstehe das. Aber ich rate Euch dringend, Euren Ängsten keinen allzu großen Raum zu geben und erst zu handeln, wenn Ihr Genaueres wisst. Das Ganze könnte sich noch als Einzelaktion herausstellen. Und schließlich hat Euer Haus in der Vergangenheit große Siege über den Schwarzen Pfad errungen. Vielleicht ist ein Eingreifen von Gryvan oc Haig oder Lheanor gar nicht erforderlich.«
»Vielleicht nicht. Es wäre sicher nicht erforderlich gewesen, wenn man mich und meine zweitausend Krieger nicht in den Süden abkommandiert hätte.«
Mordyn Jerain lächelte nachsichtig.
»Das bedauern wir alle, aber es ließ sich nicht vermeiden, wie Ihr wisst. Wir konnten nicht hinnehmen, dass sich Igryn offen gegen den Than der Thane auflehnte. Die Wahren Geschlechter sind nichts, wenn sie bei einer Rebellion aus den eigenen Reihen nicht zusammenhalten können. Es war daher angebracht, dass sich jedes Haus an der Niederwerfung Igryns beteiligte. Nein, mehr als angebracht – absolut notwendig. Wir leben in gefährlichen Zeiten. Wenn unsere Feinde uns uneinig sähen, würden sie unverzüglich handeln.«
»Der Schwarze
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