Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Pfad war und ist unser ärgster Feind«, entgegnete Taim. »Das hat mein Haus ebenso wenig vergessen wie Kilkry-Haig. Die Wahren Geschlechter könnten leichter zusammenhalten, wenn auch die anderen diese Ansicht teilen würden, anstatt ständig von den Reichtümern zu träumen, die ihnen die Eroberung von Tal Dyre, Dornach oder der Freien Küste einbrächte.«
Ein geziertes Hüsteln lenkte die Aufmerksamkeit der beiden Männer zur Tür. Die Frau, die dort auf der Schwelle stand, war so schön, dass Taim der Atem stockte. Dichtes, glänzend schwarzes Haar fiel ihr über die Schultern. Das seidene Gewand, das sie trug, war ihr so vollkommen auf den Leib geschneidert und passte so gut zu ihr, dass man es sich bei keiner anderen Frau hätte vorstellen können. Reicher Goldschmuck zierte Ohren, Hals und Handgelenke – eine Überfülle des edlen Metalls, die einen neidischeren Charakter als Taim geblendet hätte. Es schien ihm, als umschwebe auch sie der süße Duft, der den ganzen Palast durchflutete; jedenfalls begleitete er sie, als sie das Gemach betrat.
Er erkannte sie sofort: Tara Jerain, die Gemahlin des Kanzlers. Während der feierlichen Heeresparade, die der Hoch-Than vor dem Feldzug in den Süden abgenommen hatte, war sie an Mordyns Seite geritten – ein unvergesslicher Anblick.
»Ah«, sagte Mordyn und sprang auf. »Taim, darf ich Euch mit meiner Gemahlin Tara bekannt machen?«
Taim erhob sich und begrüßte die Frau mit einer tiefen Verneigung. »Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, Mylady.«
»Das gilt auch umgekehrt.« Ihre Stimme hatte einen vollen Klang, strahlend wie die Geschmeide, die sie trug. »Und ich bedaure nur, dass es so traurige Ereignsse sind, die uns zusammenführen.«
Taim war ein wenig überrascht, dass die Gemahlin des Kanzlers so offen ansprach, was ihn bedrückte, doch dann fielen ihm wieder die Gerüchte ein, die er über diese Frau gehört hatte. Es gab nicht wenige davon, und alle liefen darauf hinaus, dass sie auf ihre Weise fast ebenso großen Einfluss besaß wie die Schattenhand selbst. Die beiden waren ein ebenbürtiges Paar, und Taim konnte davon ausgehen, dass Tara in alles eingeweiht war, was Mordyn über die Ereignisse im Norden in Erfahrung gebracht hatte.
»Ich bat Tara, an unserer Unterredung teilzunehmen«, sagte der Kanzler, »und sich darum zu kümmern, dass es Euren Männern in der Stadt an nichts fehlt.«
»Ganz recht«, bestätigte Tara. »Speise und Trank, Pflege, Heiler – sagt, was Eure Leute benötigen, und sie sollen es erhalten.«
»Für ihr Wohl wird in der Heimat bestens gesorgt«, erklärte Taim. Es gelang ihm nicht ganz, die Schärfe in seiner Stimme zu unterdrücken. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man ihn abgefangen hatte und nun versuchte, ihn am Handeln zu hindern – vorsichtig, freundlich, aber doch mit großer Entschiedenheit.
Die Gemahlin des Kanzlers nickte. Einen Augenblick lang flatterten ihre Lider, als hätte sie ein Windhauch gestreift. »Wie Ihr meint«, sagte sie.
»Aber Ihr werdet doch wenigstens eine Weile ausruhen«, meinte Mordyn. »Ich lasse ein Gästezimmer für Euch herrichten.«
Taim wandte sich dem Kanzler zu. Er atmete tief durch, ehe er seinen Gefühlen freien Lauf ließ.
»Vielen Dank, aber ich bin ein einfacher Krieger. Ich werde bei meinen Männern Quartier nehmen und alles für den Weitermarsch nach Kolkyre vorbereiten. Und nach Anduran.«
»Dann wartet Ihr nicht die Rückkehr des Hoch-Thans ab?«, erkundigte sich Tara mit Unschuldsmiene. »Er dürfte höchstens zwei oder drei Tage nach Euch hier eintreffen.«
Taim lächelte sie an. Das verlangte die Höflichkeit, auch wenn es jetzt Wichtigeres für ihn zu tun gab. Er musste in den Norden, so schnell wie möglich.
»Ich kann nicht bleiben, Mylady«, sagte er. »Mein eigener Than braucht mich jetzt. Und ich sehne mich mehr denn je danach, meine Gemahlin wiederzusehen.«
Anduran und Glasbridge, die größten Siedlungen des Hauses Lannis-Haig, waren Dörfer im Vergleich zu Vaymouth mit seinem Ausmaß und seiner Einwohnerdichte. Menschen wogten durch die Straßen wie Schwärme von Fischen in einem dicht zusammengezogenen Netz. Der Kanzler hatte Taim ein Pferd und eine Eskorte angeboten, aber Taim war nicht darauf eingegangen. Er kannte den Weg zur Kaserne einigermaßen, und er sehnte sich danach, der bedrückenden Fürsorge von Mordyn Jerain und seines Haushalts zu entfliehen. Nun, da er sich durch das Gewühl kämpfte, schwand seine
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