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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilmar Klute
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Hand.
    Dieses trostlose Beispiel scheint mit den Jahrtausenden seinen Schrecken verloren zu haben, denn die Liebe zum eigenen Ich geht inzwischen so weit, dass viele Menschen das Bedürfnis haben, gemeinsam mit Ihrem Selbst in den grausamen Kampf um die richtige Lebensbalance zu ziehen. Dahinter steckt eine Idee, die sich inzwischen unendlich multipliziert und in Werbung und Gesundheitspolitik ihren Niederschlag gefunden hat: der unbedingte Wille zur Straffheit des Ich, zur Gesundheit und zur Fitness, und das bis ins hohe Alter, wenn nicht gar über den Tod hinaus. Man belegt derlei Zwangshandlungen gerne mit dem Begriff »Kompetenz«, weil man zu seinem eigenen Selbst in einer Art Geschäftsverhältnis steht. Die Bereitschaft und das Vermögen, sich gesund zu ernähren und regelmäßig Sport zu treiben, firmiert unter der Rubrik Körperliche Kompetenz. Die eigentliche Selbstverständlichkeit, sich einigermaßen mit seiner Umgebung zu verstehen, also seiner Lebensgefährtin nach dem Heimkommen nicht die Schuhe vor die Füße zu schleudern und warmes Essen zu verlangen, seine Kinder nicht bei der ersten Kleinigkeit anzubrüllen und seine Freunde nicht zu vergrätzen, bündeln wir mit dem Terminus »Emotionale Kompetenz«. Dann stehen wir ja gelegentlich vor der Aufgabe, uns in besonders schwierigen Situationen für oder gegen etwas zu entscheiden. Wollen wir die abgewetzte Ehe noch weiterführen, weil wir irgendwann mal geheiratet haben oder weil wir nicht gerne alleine leben möchten? Wollen wir uns in der Mitte des Lebens entleiben, weil wir plötzlich das Gefühl verspüren, nicht die Karriere hingelegt zu haben, die uns einmal vorgeschwebt hat, weil wir nicht die richtige Frau gefunden haben oder in der falschen Stadt, im falschen Land, im falschen Leben leben? Im Fall, dass wir für diese Unbill eine Lösung finden, können wir uns das Prädikat an die Brust heften, wir seien Helden der biografischen Wachstumskompetenz. Und ein Letztes: Wenn wir alt sind und noch nicht schwachsinnig genug, unseren Intellekt lediglich über die Lösung von Kreuzworträtseln erleuchtet zu halten, sondern auch noch bereit sind, bislang unbekannte Seiten des Lebens kennenzulernen, dann sind wir Inhaber einer hoffentlich viel bewunderten Reifungskompetenz.
    Allein dieser Begriffsirrsinn zeigt, dass wir es selbst in der Pflege unserer Seele nicht weiter gebracht haben als eine dieser verdrahteten Knalltüten, die uns täglich in U-Bahnen und Abflughallen begegnen und einem gelangweilten Gesprächspartner von Evaluierung und Gadgets vorfaseln. Wir sind und bleiben die unerträgliche Ich-AG, selbst wenn wir merken, dass uns seelisch das Wasser bis zum Hals steht, hören wir nicht auf, uns weiter zu optimieren. Selbst unsere Ausstiegs-fantasien, selbst unsere Suche nach einer möglicherweise neuen Sinnhaftigkeit sind elende Anstrengungen, an deren Ende wir wieder nicht weiterwissen, wie wir es stemmen sollen. In früheren Zeiten – ach, wir werden immer so retrospektiv, aber manchmal hilft es, Kontraste zu schaffen – war der Traum vieler arbeitender Menschen, auf eine Insel zu fliehen oder einen langen Winter auf Mallorca zu verbringen, um ein bisschen Abstand zum Alltag zu gewinnen. Einen Alltag, den man zwar als Belastung empfand, aber dem man keinesfalls unterstellte, er entlasse einen niemals aus seinen Krallen. Heute ist es so: Wer aussteigt, steigt aus dem digitalen Kommunikationsgeschehen aus. Er lässt sich zum Beispiel ein Jahr lang das Internet kappen und sieht seine E-Mails nicht mehr an. So als schwinde mit den Möglichkeiten auch das Bedürfnis, erreichbar zu sein und andere zu erreichen. Wobei man auch bezweifeln kann, dass es nur um diese beiden Qualitäten geht. Es geht auch um die Frage: Wie bin ich positioniert in meiner Gesellschaft, wer interessiert sich für mich, wer schreibt mir regelmäßig, wer bietet mir mitunter prestigefördernde Projekte an? Das Kappen der digitalen Nabelschnur führt in der Regel nicht zu der gewünschten Entspannung, weil die Restunruhe ja in unseren auf Kommunikation konditionierten Köpfen bleibt: In meinen Account laufen die Mails wie Wasser aus einem Füllhorn und ich kann nicht abschöpfen.
    Es ist schon teuflisch komisch: Einerseits definieren wir unseren Erfolg und unsere gesellschaftliche Teilhabe zu einem wesentlichen Teil über die Kommunikation. Andererseits stellen wir diese Kommunikation unter den Verdacht, uns kaputt zu machen. Wenn wir dann ausgestiegen sind, unseren

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