Wir Ausgebrannten
heute als legitimer Teil des Rechts auf Konsum gesehen und entsprechend genutzt. Aber wie wir aus Statistiken und psychologischen Bulletins wissen, ist der Rückgriff auf pornografische Filme mit allerlei seelischer Unbill verbunden: Wer im Angesicht grob gepixelter beweglicher Darstellung von Geschlechtsverkehr masturbiert, zahlt einen hohen Preis, zumindest, wenn er davon nicht mehr loskommt. Das Internet kann uns also nicht nur mit seinen kommunikativen Angeboten E-Mail und WhatsApp in den Wahnsinn treiben, sondern auch mit jenen Formen von Darstellung, die unsere grundlegenden Triebe betreffen respektive diesen Entfaltungsmöglichkeiten bieten, die sie in der realen Welt so eher selten finden. Es gehört ja zu den Perfidien der digitalen Welt, dass sie eine Intimität vorgaukelt und in Wahrheit selbst das Gegenteil von intim ist. Das Internet ist die größte promiskuitive Gemeinschaft, die je existiert hat. Ihre Möglichkeiten und Wünsche sind uneingeschränkt und es wäre absurd, wenn in ihr nicht auch die Sexualität unendliche Gestaltungsformen vorfände. So gesehen kann man das Internet per se als pornografisch ansehen, nicht zuletzt weil es in den meisten Fällen seine Angebote nach den Prinzipien der Pornografie ausrichtet. Das Internet ist monströs in seiner Überkonditionierung: Aktivität ist immer Hyperaktivität, Kommunikation in den meisten Fällen Hyperkommunikation und die Pornografie eine Hyperpornografie. Der englische Essayist Alain de Botton hat in der Tageszeitung Die Welt gefordert, Regierungen sollten durchaus repressiv auf die Entfaltung der Internet-Pornografie einwirken. De Bottons Argumente bewegen sich dabei beileibe nicht auf der Ebene der bürgerlichen Moral. Er sieht die Verschwendung des triebhaften Menschen an Youporn eher als ökonomisches Desaster. Man könne in der Zeit, da man mit offener Hose vor der Performance ukrainischer Damen in Gemeinschaft mehrerer Männer sitzt, genauso gut Krebsmittel erfinden, Firmen gründen und sonst wie segensreich für die Menschheit wirken. Das ist das eine. Ein anderes ist es, dass die Pornografie der große Auslöscher all jener Dinge ist, die es im Leben nun einmal auszuhalten gilt, nämlich die Langeweile und das Verlangen. Auch damit sind wir wieder bei einem Grundproblem der Burnout-Gesellschaft angekommen, nämlich der Unfähigkeit, die eigenen Regungen nicht als unheimliche Monstren der eigenen Seele zu sehen, sondern als das, was sie in Wahrheit sind: alltägliche Gefühlsanwandlungen, die es nun einmal auszuhalten und wenn möglich sogar zu genießen gilt. Der österreichische Kulturwissenschaftler Robert Pfaller hat in seinem Buch Wofür es sich zu leben lohnt darauf hingewiesen, dass die Sexualität heutzutage nur noch an ihren schmutzigen Rändern existiert, dass sie gewissermaßen als Kulturtechnik verschwunden ist und ihre Statthalter im Schmuddelsex der Nachmittags-Talkshows und eben in der Pornografie gefunden hat. Man kann es auch so ausdrücken: Während unsere Gesellschaft immer prüder wird, kommen die Angebote der Pornografie immer greller daher. Und folglich wird Sexualität mehr und mehr als eine extreme Form der körperlichen Befriedigung empfunden, denn ihre normale Spielart in der Gesellschaft hat sie längst verloren.
Man kann dieses allmähliche Ausbrennen des erotischen Lebens sehr schön an jenen Orten konstatieren, die früher einmal die halb offiziellen Nischen der bürgerlichen Sexualität waren: die Rotlichtviertel und Bordelle der großen Städte. Wenn man heute im Amsterdamer Walletjes unterwegs ist, wird man die Bordellwelt bestenfalls als museale Veranstaltung erleben. Die Stadtregierung bemüht sich seit Jahren, den Bordellbetrieb zurückzufahren, Prostitution auf ein schmales Terrain um die Oude Kerk zu beschränken, und traktiert die Sexarbeiterinnen, wie sie sich offiziell nennen, mit zahllosen Restriktionen. Zugleich nehmen immer mehr potenzielle Kunden davon Abstand, zu einer Prostituierten zu gehen, weil der Zugriff auf Sex per Internet – sei es Pornografie, sei es eine Seitensprung-Börse – einfacher, schneller und preiswerter ist. Während unsere analoge Welt mehr und mehr entsexualisiert wird, wächst die pornografische Übersteuerung der Sexualität im Internet oder im Fernsehen, wo sie von postfeministischen Knalltüten wie Lady Bitch Ray repräsentiert wird. Nachdem Oswalt Kolle und andere Nervensägen dieses Feld in den 70er-Jahren zerpflügt hatten, wurde es privat bestellt, von
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